In einer umfassenden Überblicksausstellung widmet sich das Städel Museum in Frankfurt am Main vom 27. April bis 13. August 2017 der Becher-Klasse. Rund 200 Fotografien sind zu sehen von Andreas Gursky, Candida Höfer, Axel Hütte, Tata Ronkholz, Thomas Ruff, Jörg Sasse, Thomas Struth sowie von den weniger prominent gewordenen Studenten Volker Döhne und Petra Wunderlich. Die Ausstellung mit dem Haupttitel „Fotografien werden Bilder“ konzentriert sich mithin auf die Studentinnen und Studenten der frühen Jahre der Becher-Klasse, die 1976 mit Höfer, Döhne, Hütte und Struth beginnen und 1987/1988 mit dem Abschluss des Studiums von Gursky und Sasse enden.
Dokumentarische Fotos von Trinkhallen
Die Ausstellung im Anbau des ehrwürdigen Kunstmuseums Städel führt über zwei Etagen. Man beginnt unten mit den frühen Arbeiten, die noch deutlich unter dem Einfluss der Lehrer vielfach klein, schwarzweiß und dokumentarisch abbildend sind. „Dem Ansatz lag folgende Auffassung zugrunde: Wenn Stil und Produktion des Fotografen neutralisiert würden, würden die Aufnahmen unvoreingenommen und gleichgewichtig erscheinen, und die Fotografie könnte als unparteiisches Mittel der Beobachtung anerkannt werden“, schreibt Alexander Alberro in seinem überaus lesenswerten Katalogbeitrag. Und weiter heißt es dort: „Tata Ronkholz‘ sachliche, aus fixen Kamerapositionen erstellte Aufnahmen von Trinkhallen und kleinen Läden, Volker Döhnes und Axel Hüttes unpersönliche Bilder industrieller Architektur und banaler Elemente der urbanen Infrastruktur sowie Petra Wunderlichs Detailansichten von Kirchenfassaden suggerieren oberflächlich ein Verlangen, Orte und Einrichtungen aus dem Zeitraum von Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts zu katalogisieren und auf unbestimmte wissenschaftliche Art zu klassifizieren. Das perfekte Licht, das ihre Werke auszeichnet, deutet zudem die gleiche unerschöpfliche Geduld an, die in den Arbeiten der Bechers zutage tritt.“ (S. 21-22)
Schon früh wurde auch mit Farbe gearbeitet. Candida Höfer fotografierte 1979 auf Diamaterial Türken und türkische Läden. Die Bilder werden in der Ausstellung als Projektion gezeigt. Sie sagt von sich, sie könne schlecht dirigieren und habe sich daher zunehmend auf leere Räume konzentriert. Der Wartesaal Köln III von 1981 mit kleinen Personen entstand noch während des Studiums und ist eine Art Übergangsbild. Ende der Neunzigerjahre entstanden die berühmten Bilder der menschenleeren Bibliotheken.
Systematische Erforschung fotografischer Techniken
Die Ausstellung erlaubt, die unterschiedlichen Entwicklungen zu erkennen, die im fotografischen Standpunkt der Bechers ihren Ursprung hatten, sich aber buchstäblich meilenweit davon entfernten. Waren die Motive anfangs noch in der Region zu finden, so fliegen die Fotografinnen und Fotografen bald in alle möglichen Teile der Welt, um ihre Sujets zu finden. Globalisierung und Digitalisierung schlagen sich unmittelbar in der Bildproduktion nieder. Der wichtigste Aspekt war aber, dass unter dem Einfluss der Postmoderne das Verhältnis zum Medium grundsätzlich hinterfragt wurde. So „erweiterte die Becher-Schule das sorgfältige Augenmerk, das die Bechers auf Schärfentiefe, Belichtungszeit, Bildeinstellung usw. legten, um eine Analyse der fotografischen Konstruktion von Realität. Das Ergebnis war eine systematische Erforschung fotografischer Techniken und Vorgehensweisen, von denen einige solche Aspekte wie den des Maßstabs oder der Farbe betrafen.“ (Alberro, S. 25)
Die großen Formate, mit denen man „die Düsseldorfer“ gemeinhin verbindet, „zielen auf eine Erfahrung von Räumlichkeit, indem sie die Bilder selbst zu einem Ereignis im Raum werden lassen. Das mehr als vier Meter breite Tableau eines Pariser Wohnblocks lässt sich nicht im Vorübergehen rezipieren, muss aber sehr wohl – vor und zurück, hin und her – im Gehen betrachtet werden.“ (Steffen Siegel, S. 171)
Und auch diese (nicht ganz unproblematische) Entwicklung ist zu erkennen: Vom Seriellen zum musealen Einzelbild (das jedoch wiederum Teil einer Serie sein kann).
Eine große Ausstellung, so spannend wie schön gehängt und ganz gewiss einen Besuch in Frankfurt am Main wert. Wer sich einstimmen möchte oder nicht reisen kann, findet online ein toll gemachtes Digitorial. Es gibt zudem einen etwas unangenehm werblichen Film über die Ausstellung.
Die Becher-Klasse – Der Katalog
Der Katalog aus dem Hirmer Verlag ist auf jeden Fall eine lohnende Anschaffung. Falls man diese ohnehin plant, wäre es sehr empfehlenswert, den auch haptisch angenehmen Ausstellungskatalog nicht erst nach dem Besuch zu erwerben, sondern ihn vorher zu lesen (bei schönem Wetter geht das auch am Mainufer gegenüber dem Museum!). Die Lektüre hilft dabei, nicht nur zu realisieren, was auf den Bildern zu sehen ist, sondern auch die durch sie repräsentierte Entwicklung in der Geschichte der Fotografie besser zu erfassen. Antwort auf die Frage, warum die erste Generation (es gab insgesamt 87 Becher-Studenten!) weltberühmt wurde, findet man eher durch die Lektüre als beim Betrachten der Exponate.
Katalog „Fotografien werden Bilder – Die Becher-Klasse“ mit 256 Seiten und ca. 178 Abbildungen, mit einem Vorwort von Philipp Demandt, Essays von Alexander Alberro, Jana Baumann, Martin Engler und Steffen Siegel, 34,90 Euro (Museumsausgabe), Buchhandelsausgabe 45 Euro.
staedelmuseum.de
Öffnungszeiten: Di, Mi, Sa, So + Feiertage 10.00–18.00 Uhr, Do + Fr 10.00–21.00 Uhr, montags geschlossen
Sonderöffnungszeiten: 1.5., 10.00–18.00 Uhr; 25.5., 10.00–18.00 Uhr; 4.6., 10.00–18.00 Uhr; 5.6., 10.00–18.00 Uhr; 15.6., 10.00–18.00 Uhr
Eintritt: 14 Euro, ermäßigt 12 Euro, Familienkarte 24 Euro; freier Eintritt für Kinder unter 12 Jahren; Kartenvorverkauf: tickets.staedelmuseum.de
Artikelbild:
Jörg Sasse (*1962)
7341, 1996
Chromogener Farbabzug, 93 x 150 cm, DZ BANK Kunstsammlung im Städel Museum
© Jörg Sasse; VG Bild-Kunst, Bonn 2017
Verwandte Artikel:
Besprechung der Gursky-Ausstellung im Haus Lange, 2009
Besprechung der Thomas Struth-Ausstellung in Düsseldorf, 2011