Die Kamera erlaubt uns, in das Leben anderer Menschen einzutauchen und Erfahrungen in einer sozialen Umgebung zu machen, die nicht die eigene ist. Diese Erfahrungen mitzuteilen jenseits der sensationellen Dramaturgie wie sie von einschlägigen Fernsehsendern betrieben wird, gelingt der jungen, aus München stammenden Fotografin Louisa Marie Summer. Mehr als zwei Jahre begleitete die Fotografin eine amerikanische Familie in South Providence, Rhode Island, durch ihren Alltag. Zentrale Figur dieser Familie ist Jennifer, 26 Jahre alt. Sie lebt mit ihrem Partner Tompy und ihren vier Kindern in einer kleinen, ziemlich versifften Wohnung. Der Vermieter unternehme nichts gegen das Ungeziefer, sagt sie. 700 Dollar Stütze bekommt sie am Monatsanfang, 800 Dollar muss sie an Miete zahlen. In der Monatsmitte kommt noch ein bisschen Geld, das kaum für Essen und die Gasrechnung reicht.
Die Fotografin faszinierte, dass Jennifer trotz ihrer schwierigen Lebensumstände optimistisch bleibt und sich fürsorglich um ihre Kinder kümmert. Sie glaubt fest daran, dass ihre Kinder es einmal besser haben werden – das College besuchen, eine Ausbildung absolvieren. Jennifers Familie stammt ursprünglich aus Puerto Rico. Sie lebt in einem Viertel, das überwiegend von Afro-Amerikanern und Hispanos bewohnt wird und das von Armut und Gewalt geprägt ist.
Arme Leute fotografieren viele, aber Louisa Marie Summer begegnet „Jennifer’s Family“ nicht nur mit Respekt, sondern vor allem mit Interesse und Empathie. Kein Wunder, dass sich Maarten Schilt, der renommierte niederländische Verleger, für dieses Projekt begeistern konnte und es als Buch publizierte (ISBN 978 90 5330 Format 24 x 18 cm, 64 leider auf mattem Papier nicht ganz optimal gedruckte Fotos, 25 Euro). Die zahlreichen darin enthaltenen Originalaussagen der Protagonisten belegen zusätzlich, mit welchem Engagement die Fotografin ihr Projekt vorantrieb. Dass sich eine Weiße für sie interessierte, fand Jennifer toll. Und natürlich auch, dass ein Buch über sie gemacht wurde.
Louisa Marie Summer studierte Fotodesign an der Fachhochschule München (Diplom 2007) und absolvierte anschließend ihren Master of Fine Arts in Fotografie an der Rhode Island School of Design, Providence. Sie lebt in Brooklyn, New York.
Das Foto unten ist das Hauptmotiv aus der Serie: Jennifer thront auf dem Auto, die Kinder drumherum. Das Auto gehört nicht ihr, sondern dem Nachbarn. Auffällig sind ihre weißen Fußsohlen und das Autokennzeichen mit der Zahl des Teufels. Im Hintergrund das Haus, in dem sie wohnt.