Spielerische Ausstellungen in Madrid

Carta Blanca für Cristina de Middel zur PHotoESPAÑA 2018

Fotografin und Kuratorin Cristina de Middel schlecht beleuchtet
Cristina de Middel in der Ausstellung „Gran final mundial“ im Centro Cultural de la Villa, Madrid, vor einem Motiv von Prue Stent & Honey Long aus Australien.

Vor zwei Jahren hatte sie eine eigene Ausstellung im Centro Cultural de la Villa, in diesem Jahr durfte die 1975 in Alicante geborene Fotografin fünf Ausstellungen kuratieren. Dafür kehrte sie aus Lateinamerika nach Spanien zurück. Überhaupt ist die in Brasilien und in Mexiko Lebende eine der Rührigsten in der internationalen Fotoszene der letzten Jahre. Cristina de Middel ist überall, oder wie sie sagt, immer nur zwölf Stunden Flug vom nächsten Job entfernt.

Martin Parr war es, der ihr Projekt „Afronauts“, und damit sie selbst, international bekannt machte. Auf seinen Einfluß hin ist sie nun Nominee der berühmten Fotografenagentur Magnum. Und er ist auch ihr Co-Kurator bei der Ausstellung im Telefonica-Gebäude mit dem Titel „Player. Magnum Photographers come out to play“. Damit habe sie nun eine komplette Ausstellung in ihrer Magnum-Bewerbungsmappe, wie Cristina augenzwinkernd erklärte.

Innenansicht der Players-Ausstellung
Players, die Ausstellung mit Fotos der Agentur Magnum, ist aufgebaut wie ein Flipperautomat.
Foto aus der Players Ausstellung
Mein Favorit aus der Players-Schau ist dieses Motiv von Gueorgui Pinkhassov, London 1999.(Magnum Photos)

Bei einer Bildagentur, die laufend selbst Print-Verkäufe unter ein Motto stellt und bei der Andréa Holzherr als erfahrene Frau für die internationalen Ausstellungen verantwortlich ist, sollte es keine große Sache sein, eine solche Schau zusammenzustellen. Nun ja, bei der Menge an gutem Material und den zu berücksichtigenden Fotografenegos … Der Besucher ist jedenfalls angehalten, sich selbst durch die Ausstellung zu flippern.

Begin at the beginning, and go on till you come to the end: then stop.

Wie man „Spiel“ total theoretisch angehen kann, zeigt Kuratorin Hester Keijser aus den Niederlanden im CentroCentro Cibeles. Die bekannte Kuratorin wurde von Cristina eingeladen, eine der Ausstellungen zu übernehmen. Der obige Satz aus Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“ diente als Inspirationsquelle für Hesters Auswahl zeitgenössischer Fotografie, die sich – wie zu sehen ist – extrem weit von Fotografie entfernt.

Installation von Isabelle Wenzel, 1982 in Wuppertal geboren, die Artistin im doppelten Wortsinn ist. Ihre Arbeiten nennt sie „Performative Photographie“. Sie nimmt artistische Posen ein (siehe Bild im Hintergrund) und zeigt in Madrid ein Schachfeld als Referenz an „Alice in Wonderland“.

Ein schönes Beispiel sind die Stickbilder von Lana Mesic (1987 in Kroatien geboren, lebt in Rotterdam). Sie zeigen Londoner Banker, angefertigt nach einem Porträt, das sie am Ende eines Interviews aufnahm. Sie stickte so lange, wie das Interview dauerte. Eines der Porträts in der Serie ist daher nur angefangen.

Ein extremes Beispiel fürs Um-die-Ecke-denken oder „Des Kaisers neue Kleider“ liefert der Niederländer Jan van der Til (Jg. 1972). Statt Fotos hängte er lediglich ein A4-Blatt auf, das besagt, die Bilder seien aus Sicherheitsgründen entfernt worden. Er bekannte, über Typowahl, Text und Kontext wochenlang nachgedacht zu haben. Er möchte die Besucher der Ausstellung zum Nachdenken bringen. Wie interpretieren sie seinen Hinweis? Er wird es nicht erfahren! Kein Mensch wird den Zettel beachten, wäre mal meine Vermutung. Geschweige auf die Idee kommen, sich kompliziert auf die Webseite der Ausstellung zu begeben und dort die vielen Fragen zu finden, die er sich stellen soll.

Kuratorin Hester Keijser, Jan van der Til und rechts das Blatt: Konzeptkunst.

PHotoESPAÑA 2018: Gran final mundial

Bild aus der Ausstellung "Gran final mundial"
In Marrakesch fotografierte Hicham Benohoud „The Hole“, bei denen er Familien überredete, Löcher in ihre Wohnung zu schlagen und sich hineinzusetzen oder zu legen.

Überraschend und doch quasi bodenständig war die (schon ältere) Serie „The Hole“ des marokkanischen Künstlers Hicham Benohoud (Jg. 1968), die Cristina für die Gruppenschau „Gran final mundial“ im Centro Cultural ausgewählt hatte. Im Unterschied zu den sonst sehr verkopften Bildfindungen stecken hier reale Menschen in realen Löchern in ihrem eigenen Zuhause. Man sieht, dass Benohoud von der Bildhauerei kommt. Bei den Familien in Marrakesch rückte er mit Maurern, Fliesenlegern und Malern an, um nach dem Graben der Löcher alles wieder in einen ordentlichen Zustand zurückzuversetzen. (Das erfährt man allerdings erst bei der Internetrecherche aus einem französischen Artikel.) „Was die Akrobatik anbelangt“, erzählt er dort, „kam mir die Idee auf der Terrasse eines Cafés auf dem Platz Jemaa El-Fna: Eine Gruppe Akrobaten spielte vor einigen Touristen Nummern für ein paar Dirhams. Als ihre Show endete, bat ich sie, sie zu fotografieren, nicht in einem öffentlichen Raum, sondern Zuhause, mit ihren Verwandten, in ihrer Privatsphäre.“ Benohoud lebt in Casablanca und in Paris.

In „Gran final mundial“ wird mit der Referenz an die Fußball-WM gespielt und gedanklich der Idee gefolgt, bei Spielen im Erwachsenenalter ginge es ums Gewinnen, darum, der/die Beste zu sein. Sechs Vertreter aus sechs Kontinenten belegen das für die Kuratorin: Hicham Benohoud, Miguel Calderón, Ana Hell, Jason Fulford, Robert Zhao Renhui, Prue Stent & Honey Long (siehe auch meinen Instagram-Feed.)

Blick in die Ausstellung
„El mayor espectáculo del mundo“, Archive of Modern Conflict, Kurator: Kalev Erickson, London.

Die bestgemachte Ausstellung in Madrid

Beim Thema Spiel ist der Zirkus nicht weit. Oh je, Clowns! Die Ausstellung unter dem passenden Motto „The Greatest Show on Earth“ feiert mit Bildern aus einem umfangreichen, in London beheimateten Privatarchiv zugleich das 250ste Jubiläum des modernen Zirkus. Vorausgeschickt sei, dass mich weder historische Zeitungsfotos noch der Zirkus sonderlich interessieren. Aber diese Schau ist aus meiner Sicht die am besten zusammengestellte und präsentierte des diesjährigen Festivals.

Kurator Kalev Erickson arbeitet im Archive of Modern Conflict und ist mit Leidenschaft und ungeheuer viel visuellem Gespür an diese ziemlich heroische Aufgabe herangegangen. Mit Neugier fräste er sich durch die Unmengen an Material. Dabei gelang es ihm, dieses so zusammenzustellen, dass es selbst erklärend wird. Die Schichten der Bilder übereinander sind hier passend und lebendig. Die Entscheidungen, welche Bilder wandfüllend tapeziert werden sollen und welche kleiner besser wirken, waren sicher nicht einfach zu treffen. Er habe dann, obwohl das gar nicht abgesprochen war, am Ende noch Originale in Rahmen aufgehängt, erzählte er auf Nachfrage. Erickson hat in Madrid zur PhotoEspaña einen großartigen Job gemacht, vielleicht gerade, weil er nicht aus dem Kunst- und Ausstellungsbetrieb kommt.

Da quellen die Augen über bei so viel Bildmaterial, das in ein überzeugendes Wandlayout gebracht wurde.

Die dritte Ausstellung im Kulturzentrum bestreitet der 1962 in Nigeria geborene Fotograf Samuel Fosso mit Selbstporträts in den Rollen berühmter Persönlichkeiten, die im Laufe von vierzig Jahren entstanden. Seine Darstellung von Angela Davies ziert den Ausstellungskatalog des Festivals. Fosso war anwesend, ließ sich aber vor der Presse nicht blicken (ich sah ihn im Hotel beim Frühstück), sondern schickte seinen Kurator vor, Azu Nwagbogu, Gründer und Leiter des Fotofestivals von Lagos, Nigeria.

Blick in die Ausstellung mit Schwarzweißfotografien
Der elegante Senegal im Sala Goya des Circulo de Bellas Artes.

Der elegante Senegal

Unbedingt erwähnen muss ich beim Thema Afrika die wunderbare Ausstellung „El Senegal elegante“ mit 30 großen Abzügen von Porträts schöner Damen und Herren aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aufgenommen von einem anonymen Fotografen aus und in Saint-Louis und zwar sowohl in den Wohnungen als auch im Freien. Das macht die Motive so viel sprechender als inszenierte Studioaufnahmen. 20 nicht bei einem Brand 1982 zerstörte Originale eines bekannten Studio-Fotografen mit dem Namen Mama Casset, gliedern sich im Sala Goya des Circulo de Bellas Artes an.

PHotoESPAÑA 2018 präsentiert vom 6. Juni bis 26. August 90 Ausstellungen mit Werken von 530 Künstlern und ein Programm von 21 professionellen und öffentlichen Aktivitäten, die an 80 Orten stattfinden.