Die große Annie Leibovitz-Ausstellung „A Photographers Life“ wird am 20.2.2009 eröffnet und ist bis 24. Mai im Alten Postfuhramt bei C/O Berlin zu sehen. Die Lecture, die Annie Leibovitz am 21.2.09 in Berlin halten wird, ist seit langem ausverkauft. Da mag man sich dann mit einer DVD trösten, die ziemlich viele Motive der Ausstellung und ziemlich viel von Annie zeigt. „Annie Leibovitz – Life Through a Lens“ ist 79 Minuten lang und auf Englisch mit deutschen Untertiteln bei Arthaus (Trailer) erschienen. Die Dokumentation verfolgt Annie Leibovitz Karriere vom Rolling Stone Magazine zu Vanity Fair und Vogue, und lässt die Werbefotografie weitestgehend außen vor. Barbara Leibovitz, die jüngere Schwester der Fotografin, hat den Film gedreht.
Life Through a Lens
Der Film ist sehr amerikanisch. Man kann den Tenor der Heldenverehrung etwas penetrant finden, man kann aber auch verstehen, dass Amerika seine Idole feiert, und dass Annie über ihren Umgang mit den Helden selbst zu einem Star wurde. Schon andere Fotografen sind darüber berühmt geworden, dass sie berühmte Personen abgelichtet haben. Das ist ein bewährtes Karriere-Muster – das aber leider hierzulande (liebe Berliner Fotografen!) so gar nicht funktioniert. Mit Fotos von sagen wir Veronika Ferres oder Florian Silbereisen wird man nicht zum Fotostar. Da kann man noch so mühsam ackern. In Angelas Country wird es nie den Hype geben, wie er in den USA jetzt gerade einem neuen Präsidenten zuteil wird. Und eben auch einer Fotografin, die nicht einfach eine berühmte Porträtfotografin ist, sondern alle Superlative auf sich vereint, wie „einflussreichste“, „weltbeste“ und „höchstbezahlte“.
Natürlich hat sie auch Glück gehabt, oder besser gesagt: Sie war zur richtigen Zeit am richtigen Ort, nämlich Anfang der Siebziger in San Francisco, wo sie schon mit 23 zur „Cheffotografin“ des Rolling Stone Magazine avancierte. Da ist der Film wirklich erheiternd (Hippies!) und deprimierend (man war nicht dabei) zugleich, wenn man sieht, wie aus diesem Heft, das bildlich gesprochen in einer WG am Küchentisch gemacht wird, nicht zuletzt durch Annies Fotos das maßgebliche Magazin einer Generation entsteht. Der Film verheimlicht nicht, dass Annie anfangs von nichts eine Ahnung hat, und sich das Fotografieren erarbeitet. Und dann das John Lennon-Foto, nackt, wenige Stunden, bevor er erschossen wird. Das sind Ereignisse, die kann man sich für einen Roman kaum dramatischer und folgenreicher ausdenken. Da war sie schon mit dem Rolling Stone von San Francisco nach New York umgezogen.
Später dann dieses immer wieder zitierte Demi-Moore-Foto: Im bigotten Amerika ein rechter Skandal, eine nackte Schwangere auf dem Titel von Vanity Fair.
It wasn’t until she met Sontag, when she photographed her for the book jacket to Sontag’s „AIDS and Its Metaphors“ in 1988, that she really felt at home in New York. Sontag championed Leibovitz’s work, but always pressed her to work harder, go deeper, get more personal. When Leibovitz shot the nude, pregnant Demi Moore and suggested it for a Vanity Fair cover, it was Sontag who phoned editor Tina Brown and persuaded her to run the photo. Arguing any point with Sontag, Leibovitz laughs, „was sort of like being with the Harvard debate team. Susan was always right.“ (1. Nov. 2006)
Annie Leibovitz ist, das zeigt der Film, eine hart arbeitende Frau. Gerade da sie es nicht mehr müsste, sie aber trotzdem nachts um vier aufsteht, um zu einem Shoot zu fliegen, wird umso deutlicher, dass sie das, was sie macht, als Pflicht begreift. Man sieht, wie sie und ihre Geschwister als Kinder im Auto sitzen, umziehen, weil der Vater, ein Air Force Lieutenant, wieder versetzt wurde, und die Welt gerahmt von einem Autofenster erleben: Das Fremde immer schon als Bild mit Passepartout. Das Militärische muss sie wohl tief geprägt haben, denn bei aller Unsicherheit, die ihr auch eigen ist, zieht sie die Arbeit generalstabsmäßig durch. Auch in diesem Punkt ist der Film erhellend, speziell die Kommentare der Auftraggeber. Sie ist eine gnadenlose Perfektionistin! Deshalb bekommt sie, was sie verlangt – an Aufwand und an Gage. Man könnte nun meinen, es sollte die Regel sein, dass Auftrags-Fotografen Perfektionisten sind. Hätte ich früher auch gedacht, aber viele Beratungen später kommt es mir wie eine Ausnahme vor. Das ist doch mal ein Karrieretipp: Auf jedes noch so kleine Detail zu achten, und auch darauf, dass und was es bedeutet.
Inszenierte Fotografie
„Eigentlich“, bemerkt die Berliner Morgenpost anlässlich der Ausstellung, „ist es keine Fotografie, was sie betreibt, sondern Konzeptkunst. Sie inszeniert und ist dabei mit allen Wassern der postmodernen Ästhetik gewaschen, gleichzeitig stellt sie eine ganz intime Beziehung zu ihren Objekten her, geht sehr nahe an sie heran. Sie achtet peinlich genau auf Details: Der Mann auf dem Stuhl trägt keine Socken unter der schwarzen Hose, und seine Schuhe sind wie Clownsschuhe – circa eine Nummer zu groß. Übrigens handelt es sich bei ihm um den Komiker Jim Carrey. Wer je auch nur einen Carrey-Film gesehen hat, „Die Truman-Show“ etwa, erkennt in Leibovitz Foto alles wieder, was diesen Mann so komisch und seinen Witz gleichzeitig so dämonisch, so bestürzend, so verwirrend erscheinen lässt.“
Was die „intime Beziehung zu ihren Objekten“ angeht, hege ich gewisse Zweifel, nicht nur wegen des Begriffs „Objekt“, sondern weil sie die intime Nähe offensichtlich häufig gerade nicht herstellen kann – was kaum wundert, wenn man sieht, wie so ein Shoot abläuft. Das ist eher großes Kino als intimes Foto. Natürlich kann man mit Susan Sontag fordern: „go deeper“, aber Leibovitz ist eine kommerzielle Fotografin! 1987 wurde sie mit der American Express-Kampagne international bekannt. Was für eine Karriere! Von der Studentin mit der Knipse, die mit Rockmusikern zusammen kokst und dabei Schnappschüsse von Musikern vor, auf und hinter der Bühne macht, zu einer Werbefotografin mit Riesenbudgets und total durchgeplanten Inszenierungen in knapp 15 Jahren. Bei dem, was sie in den insgesamt 30 Jahren ihrer Karriere geleistet hat, darf auch mal eine Lavazza-Kampagne zum optischen Desaster entgleisen. Seit sie Mutter ist, gibt es ohnehin Wichtigeres als Werbung.
Bei dem atemlosen Leben, das sie führt, „vergaß“ sie, die selbst fünf Geschwister hat, eigene Kinder zu bekommen, und holte das in einem Alter nach, in dem sonst nur Männer noch einmal zu Eltern werden. Mit 51 brachte sie ihre Tochter Sarah zur Welt und 2005 wurden ihre Zwillingstöchter Susan und Samuelle von einer Leihmutter geboren.
Am Ende des interessanten und auch beeindruckenden Films kann man jedenfalls eines mit Gewissheit sagen, „kamerascheu“ ist die „Starfotografin“ nun wirklich nicht. Eher schon Musterbeispiel zum Thema Selbstvermarktung. Auch darin kann sich so mancher Fotograf bei ihr etwas abgucken.