Ein wehmütiger Abgesang auf die Street Photography
Darf der das – Menschen einfach so auf der Straße fotografieren? Bernd Arnold darf, aber ansonsten fällt das in die Kategorie Geht-gar-nicht. Deshalb ist die freie Arbeit des in Köln beheimateten Fotografen die wahrscheinlich letzte, die man als wirklich gelungene Street-Photography-Serie sehen wird.
Im 20. Jahrhundert, als Fotografen noch rasende Reporter waren und sie überall, selbst in der Dunkelkammer, rauchen durften, da stellten sich einige besonders wagemutige Jungs mitten in New York auf die Straße und knipsten Passanten. Damals war das super-cool: statt mit großen Apparaten (wie der Graflex der Pressefotografen) mit kleinen handlichen Kameras mitten ins Leben und das festhalten – ganz ohne Nachrichtenwert. Das machte Spaß und es brachte Fotos hervor, die man vorher so nicht gesehen hatte. Generationen von Fotografen wurden geprägt von Garry Winogrand, vor allem aber von Robert Franks Buch „The Americans“. Henri Cartier-Bresson, der nur unerkannt fotografierte, und das zu einer Religion erhob, wurde zum Säulenheiligen der Leica-Fangemeinde. Alle, die bis noch in die Achtzigerjahre ihre fotografischen Erweckungserlebnisse hatten, sind stark von der Straßen- und Reportagefotografie geprägt: Nah dran, mitten drin, und dann schnell weg. Nun müssen aber auch die Fotografie und mit ihr die Fotografen im 21. Jahrhundert ankommen und zur Kenntnis nehmen, dass wir nicht mehr rauchen, uns politisch korrekt ausdrücken und nicht ungefragt fremde Menschen fotografieren – auch wenn es schwer fällt. Dafür gibt es inzwischen hinreichend juristische Gründe, aber vor allem inhaltliche: Wenn jeder fotografiert, dann können nur noch die als Fotografen überleben, die es verstehen, ihre eigene Person (ihre Biografie, ihre Lebenserfahrung, ihre Einstellungen) mit in das Foto einfließen zu lassen und damit mehr zu liefern, als bloße Abbildungen.
Bernd Arnold wurde 1961 als evangelisches Kind im katholischen Köln geboren, was ihn nachhaltig geprägt hat. Mit seiner umfangreichen Arbeit „Macht und Ritual“ befasst er sich mit Religion, Politik, Television und Eros. Bernd Arnold studierte Fotografie in Dortmund und ist heute Mitglied der Fotografengruppe Visum. Neben Essays, Porträts und Reportagen im Auftrag großer Magazine realisiert er immer wieder auch freie Arbeiten wie „Die Zone“.
„Die Zone“ ist in diesem Fall einmal nicht ein Beitrag zum Mauerfall vor 20 Jahren, sondern eine kleine, feine Serie über das ja durchaus unfotogene Thema Fußgängerzone. Übrigens eine deutsche Erfindung der Nachkriegszeit – ausgehend von Kiel in die ganze Republik. Beim Wiederaufbau sollte der historische Stadtkern nachempfunden werden. „Ein Markt-, Rathaus- oder Kirchplatz war günstig, dann nahm man die unmittelbar abzweigenden Straßen dazu, und schon ergab sich, sobald stillgelegt, die gewünschte Wirkung – der Eindruck, dass die Stadt ein Geheimnis habe, etwas, das dem Durchfahrenden verborgen blieb und bleiben sollte: ihre Mitte“, schreibt Ulf Erdmann-Ziegler in seinem interessanten Artikel „Die Einheitsfratze der Fußgängerzone„.
Die Hohe Straße in Köln ist so eng, dass die sich drängenden Menschenmassen zu Verstopfungen führen können, was das Einkaufen dort zu einer durchaus beklemmenden Erfahrung machen kann. Natürlich gibt es in Köln inzwischen das gleiche Angebot wie überall, von den Besitzern geführte Geschäfte sind aus Köln ebenso getilgt wie aus jeder anderen Fußgängerzone. Bernd Arnold, der ganz in der Nähe der Einkaufsmeile wohnt, kommt nun das Verdienst zu, hier nicht mit oberflächlicher Konsumkritik oder Globalisierungsschelte anzusetzen, sondern sich ganz auf das visuelle Phänomen zu konzentrieren: Das nur partiell in die enge Straße fallende Licht, das wie ein Scheinwerfer funktioniert und so einzelne Szenen oder Personen heraushebt. Für einen kurzen Moment kann jeder ein Star sein, verkündete schon Andy Warhol. Und Bernd Arnold macht es möglich.
Genau deshalb, weil er die Leute gut aussehen lässt und die Ergebnisse Kunstwerke sind, darf er das. Und wir nicht.
Mehr über Bernd Arnold auf seiner Webseite und ein Interview zu „Macht und Ritual“ bei The Sonic Blog.
The Zone – Images by Bernd Arnold