„Seit ersten März 2017 bin ich nun Rentner. Schon im letzten Jahr war klar, dass ich diesen Lebensabschnitt mit einem Fotoprojekt beginnen möchte“, schrieb mir Manfred Sickmann aus Baden-Württemberg als Reaktion auf meinen Mai-Newsletter. „Vielen Dank zunächst für Ihre vielen hervorragenden Anregungen, die ich aus Ihren Büchern „Fotografie mit Leidenschaft“ und „Fotopraxis mit Perspektive“ – wie auch dem Paper „Wer fotografiert hat mehr vom Leben“(kostenloser Download Startseite) bekommen habe. Großes Lob für Ihre klaren, differenzierten und sehr kompetenten Texte.
Seit 2008 fotografiere ich ernsthaft und leidenschaftlich alles mögliche – mit mäßiger Zufriedenheit. Immer auf der Suche nach der eigenen Bildsprache, die ich aber bis heute nicht wirklich gefunden habe. Von dem hohen Anspruch, so gut wie die Profis zu sein, habe ich – auch Dank Ihrer Anregungen – Abschied nehmen können. Seitdem gehe ich mein Hobby sehr viel entspannter an. Und dann war bei Ihren Anregungen ja noch der Aspekt „Projekt“. Das hat mir von Anfang an eingeleuchtet. Die Zeit, meine Ideen umzusetzen, hat mir aber während meiner Tätigkeit als Arbeitstherapeut in der Psychiatrie gefehlt.
Mein langjähriger Kontakt zu einem Spargelanbauer in meiner Nähe ermutigte mich im vergangenen Jahr dort anzufragen, ob ich in der Saison 2017 die „Spargelmacher“ fotografieren dürfe. Morgen, Sonntag den 7.5.2017, werde ich im Regen mit Schirm auf dem Acker meinen fotografischen Mann stehen.“
Das fand ich beeindruckend und blieb mit Manfred Sickmann seit Mai in Kontakt. Sein Spargelernte-Projekt ist ein tolles Beispiel für meine These, man habe mit einem Fotoprojekt mehr vom Leben. Es ist kein einfaches Sujet, aber es ist zeitlich begrenzt, was sehr gut ist. Es hat den Vorteil an einem Ort zu sein (der Spargel kann nicht weglaufen!). Das gibt dem Fotografierenden die Möglichkeit einer eigenen Zeiteinteilung. Manfred Sickmann hat sich ganz auf die Feldarbeit konzentriert und dabei sind ihm unter anderem sehr stimmungsvolle (Gegenlicht-) Aufnahmen gelungen.
Ich habe Manfred Sickmann zu seinen Erfahrungen befragt.
Wie entstand die Idee, beim Spargelbauern zu fotografieren?
Ich war bis zu meiner Berentung über 30 Jahre lang im Gemüsebau tätig. So hatte ich einen fachlichen Bezug. Vom Spargelhof Rauer hole ich seit Jahren meinen Spargel. Es war eine gewisse Beziehung entstanden, auf die ich aufbauen konnte. Mein Wunsch ist es immer schon gewesen, Menschen zu fotografieren. Es war aber klar, dass ich das nicht als Streetfotograf oder Portraitist, sonden nur in einem Kontext machen kann. Die Idee, mit einem fotografischen Projekt die eigene Fotografie weiterzuentwickeln – wie es am deutlichsten in Ihren Schriften thematisiert wird – hat mich von Anfang an sehr überzeugt. Die Aussicht auf den Ruhestand ab März 2017 hat 2016 zu der Planung für das Projekt „Die Spargelmacher“ geführt.
Wann fingen Sie an, zu fotografieren? Wie oft und wie lange sind Sie jeweils bei der Spargelernte gewesen?
In der Saison 2016 habe ich angefragt und das grundsätzliche Okay bekommen. Im Januar 2017 hatte ich ein Vorgespräch mit Silvia und Peter Rauer, in dem ich mich, mein Anliegen, mein Konzept, meine Ausrüstung und gedruckte Bildbeispiele aus meiner fotografischen Arbeit vorgestellt habe. Auf meinen Wunsch hin habe ich Ende März 2017 drei Tage und Ende April, nach Eintreffen der rumänischen Erntehelfer, noch mal einen ganzen Tag mitgearbeitet, um etwas Stallgeruch zu schnuppern, die Menschen kennen zu lernen und mich selber und mein späteres Fotografieren vorzustellen. Erst dann habe ich angefangen, richtig zu fotografieren. Insgesamt war ich an 31 Tagen auf dem Feld und auf dem Hof, jeweils zwischen einer und vier Stunden.
Entsprach Ihre fotografische Tätigkeit dort Ihren Erwartungen? Gab es Überraschungen?
Mein Ziel war es, die Menschen bei der Arbeit auf unterschiedliche Weise zu portraitieren. Ich hatte allerdings nicht bedacht, dass bei allen Arbeiten in der Spargelernte die Menschen meistens nach unten schauen. Um Gesichter bei der Arbeit zu fotografieren, musste ich also sehr nah ran. Da ich den Helfern nicht gleich zu Beginn meine Kamera direkt unter die Nase halten wollte, habe ich zunächst mit langen Brennweiten fotografiert, bin dann immer näher ran und habe schließlich über das Klappdisplay meiner OM-D direkt am Damm von unten nach oben fotografiert. Da meine Ausrüstung nicht staub- und spritzwassergeschützt ist, musste ich mir für die Regentage etwas überlegen. Ich bin schließlich mit dem Regenschirm und der leichten OM-D im strömendem Regen und Matsch zwischen den Spargeldämmen unterwegs gewesen – was für eine gewisse Erheiterung unter den Helfern sorgte.
Wie entwickelte sich Ihr Verhältnis zu den Protagonisten?
Das Verhältnis zu Silvia und Peter Rauer war von Anfang an wunderbar unkompliziert. Mir standen fast alle Türen offen. Und da ich beide nach fast jedem Fototag mit ein paar Bildern für Homepage und Facebook an meiner Fotografie teilhaben ließ, war auch die Skepsis, ob ichs wohl kann und recht mach, schnell verflogen. Mit jedem einzelnen einheimischen Helfer habe ich das Gespräch gesucht, mein Tun erklärt, das Einverständnis eingeholt und immer mal wieder Bilder auf dem Display gezeigt. Zu den rumänischen Helfern war es schwieriger, den Kontakt herzustellen, da sie weder Deutsch noch Englisch sprachen. Bis auf einen: Mit Octavian konnte ich mich in Englisch und Deutsch unterhalten. Der Austausch über unsere Lebensgeschichten und die Begeisterung für den Badmintonsport führte rasch zu einem fast freundschaftlichen Verhältnis. Er vermittelte meine Fotografie seinen rumänischen Landsleuten. Bei allen Helferinnen und Helfern habe ich die ganze Zeit hindurch große Akzeptanz für meine Arbeit erfahren.
Wie geht es weiter? Ist das Projekt für Sie jetzt beendet?
Die Spargelernte ist nun vorbei. Die Arbeit auf dem Spargelfeld geht aber bis Oktober weiter. Düngung, Feldpflege und Vorbereitungen für die Saison 2018 stehen als nächstes an. Mein Fotoprojekt werde ich mit den letzten Arbeiten in diesem Jahr beenden. Noch geht es also weiter. Mein nächstes Projekt ist zudem schon in Vorbereitung.