Colmar, das hübsche elsässische Städtchen, bietet mit dem Musée Unterlinden und dem darin befindlichen Isenheimer Altar (1512-1516) eine der großen europäischen Kunstattraktionen. Aufgewertet und vergrößert wurde das Museum durch die Neugestaltung der Architekten Herzog & de Meuron. Der Besuch lohnt in diesem Sommer umso mehr, da vom 8. Juli bis 2. Oktober 2017 dort eine kleine, aber sehr exquisite Ausstellung des Künstlers der russischen Avantgarde, Alexander Rodtchenko (1891-1956), präsentiert wird.
Die hundert Exponate stammen aus der Sammlung des Staatlichen Museums für Bildende Künste A.S. Puschkin in Moskau und wurden kuratiert von Rodtchenkos Enkel, Alexandre Lavrentiev. Er erzählte die Geschichte hinter dieser Auswahl.
1925 wurde die Sowjetunion eingeladen, an der Internationalen Ausstellung für Kunstgewerbe und Industriedesign in Paris teilzunehmen. Rodtschenko gestaltete den sowjetischen Pavillon, in dem er seine Design-Entwürfe und seine Arbeit „Der Arbeiterclub“ ausstellte, für die er mit der Silbermedaille ausgezeichnet wurde. Von dieser Installation, die die konstruktivistische Ästhetik widerspiegelt, gibt es nur noch Skizzen und Aquarellstudien.
Rodtchenko hatte nach Paris „einen Koffer“ mit eigenen Arbeiten mitgebracht, denn er hoffte, dort für sich eine Einzelausstellung organisieren zu können. Dazu kam es nicht. Die Präsentation in Colmar bezieht sich auf diese Auswahl und zeigt die ganze Bandbreite des vielseitigen Künstlers. Seine Devise war, dass alles Experimente sind und er sich nie wiederholt. Die Fotografie fasste er als Kommunikationsmittel auf.
Rodtchenko, ein Vertreter des neuen Sehens
Bekannt ist Rodtchenko auch als einer der Pioniere der Leica Kamera. Perspektivische Wechsel und Diagonalen setzte er ein, um neue Blickwinkel zu erschließen. Berühmt wurde unter anderem sein Foto des Mädchens mit der Leica von 1934 sowie die Treppe von 1929. Schon aus der Zeit vor der Paris-Reise stammen die Porträts von Mitgliedern der konstruktivistischen Gruppe und der Zeitschrift LEF sowie seiner Frau Stepanowa, dem Lieblingsmodell. 1924 führte er zwei Porträtserien aus, die den Rang von Ikonen erlangen sollten. Die eine bildet das russische Volk ab (darunter ein Porträt seiner Mutter, siehe Abbildung), die andere ist seinem Freund, dem Dichter Majakowski, gewidmet. Rodtschenko erkundete alle Möglichkeiten der Fotografie. Um die Dynamik in seinen Bildern zu betonen, bearbeitet er sie gelegentlich mit Pinsel und Bleistift.
Die Ausstellung präsentiert seine abstrakten Gemälde, Zeichnungen und Aquarelle, die Raumkonstruktionen und Architekturprojekte, Arbeiten aus den Bereichen Werbung und Design, Buchgestaltungen und Zeitschriften-Cover, und natürlich Fotografien.
Architektur des Musée Unterlinden
Noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts musste das Museum die modernen Kunstwerke regelmäßig abhängen und im Depot lagern, um Raum für solche Wechselausstellungen zu schaffen. Als 2003 das Stadtbad geschlossen und dem Museum zur Verfügung gestellt wurde, konnte eine ambitionierte Erweiterung mit einer vollständigen Umstrukturierung der Sammlungen geplant werden. 2009 wurde ein internationaler Architektenwettbewerb gestartet. Das Baseler Architekturbüro Herzog & de Meuron erhielt den Zuschlag. Am 12. Dezember 2015 wurde das Museum wiedereröffnet.
Für das Musée Unterlinden erarbeitete das Büro ein architektonisches und museografisches Projekt, wobei es sich ebenfalls Gedanken über seine städtebauliche Dimension machte. Grundlegendes Prinzip war die Wahrung des historischen Werdegangs des mittelalterlichen Klosters in Verbindung mit einem zeitgenössischen Neubau hinter dem Stadtbad (Piscine), der durch eine unterirdische Passage mit dem Kloster verbunden wurde.
Das Projekt von Herzog & de Meuron umfasst zudem eine städtebauliche Dimension. Der Platz zwischen Stadtbad und Kloster ist zu einem belebten Ort in der Stadt geworden, dessen Attraktivität durch die Offenlegung des Sinn-Kanals und die Neugestaltung der Böschungen noch gesteigert wird. Dieser Platz wird durch das Kleine Haus geprägt, das eine wichtige Drehpunkt-Funktion in der städtebaulichen Gestaltung des Ortes einnimmt. Seine großen Öffnungen bieten einen Einblick in die unterirdische Galerie, die das Kloster mit dem Stadtbad verbindet. Die Formen des kleinen Gebäudes erinnern an das Eingangsgebäude zum Ackerhof, dem alten Klosterbauernhof.
Schließlich nahmen die Architekten auch eine museografische Neuordnung der Sammlung vor, deren Ausstellungsfläche sich durch die Erweiterung verdoppelt hat. Die alte Kunst ist im Kloster untergebracht, während die moderne Kunst in den neuen Flügel eingezogen ist.
Meine Tipps:
Wer mit dem PKW anreist, findet auf dem Scheurer-Kestner Parkplatz unweit des Unterlinden-Museums einen preisgünstigen Stellplatz.
Weil es nicht selbstverständlich ist und Kunst hungrig macht, sei erwähnt, dass man im Museumscafé gut essen kann.
Musée Unterlinden
Place Unterlinden – 68000 Colmar, Frankreich
Tel.: +33 (0)3 89 20 15 51
info@musee-unterlinden.com