Peter Bialobrzeski: Paradise Now

Er ist einer der bekannten, renommierten deutschen Fotografen. Ausnahmsweise nicht aus der Becher-Schule. Er fing an mit der Reportagefotografie, wandte sich aber bald der Realisierung freier Projekte zu, die in Bildbänden publiziert und auf dem Kunstmarkt gehandelt werden. Zudem hat er eine Professur an der HBK in Bremen, von der er sich gerade für zwei Jahre beurlauben ließ. Am 11. Juli 2009 hielt er einen Vortrag im Museum der Weltkulturen, bei dem er im Rahmen der Sommerakademie des Fotografie Forums Frankfurt seine Arbeiten präsentierte.

Peter Bialobrzeski bei seinem Vortrag in Frankfurt.
Der Vortrag in Frankfurt begann mit einem Motiv der Arbeitssituation.

Bialobrzeski zeigte zu Beginn Fotos aus Indien und sprach darüber, wie man vor zehn, fünfzehn Jahren Bildstrecken für Magazine fotografierte – speziell für Zeitungssupplements wie das FAZ-Magazin, das 1999 eingestellt wurde. Er sagte, er habe anfangs Bilder beispielsweise wie aus „Geo“ im Kopf gehabt. Und er habe sich davon befreien wollen, und erwarte auch von seinen Studenten, sich von diesen vorgegebenen Bildern zu lösen.

Nachtaufnahmen aus den Megacities

In seiner Arbeit „Paradise Now“ ist es ihm ganz wunderbar gelungen, einen in jeder Beziehung neuen Betrachtungswinkel zu finden. Die Idee ist im Prinzip so einfach wie gut: In den Megacities werden die Pflanzen nicht mehr (nur) von oben, eben durch die Sonne, sondern nachts aus allen Richtungen künstlich beleuchtet. Da wuchert und schlingt es durchs Bild, und im Hintergrund oft und irreal wirkend durch die Überbelichtung: Teile von Hochhäusern. Die Fotos sind atemberaubend! Selbst in der Beamerprojektion oder im Internet haben sie eine Qualität, die  sichtbar ist: Sie sind persönlich, geheimnisvoll, verwirrend hinsichtlich des Betrachterstandpunktes und spannend komplex; sie zeigen, was man mit bloßem Auge so nicht sähe, sind mithin genuin fotografisch. Von der technischen Brillanz ganz zu schweigen, da mit einer Großformatkamera aufgenommen. Zugleich sind die Motive auch noch optisch so attraktiv, dass man sie sich gleich an die Wand hängen möchte.

Paradise Now #13
Paradise Now #13
Paradise Now #33
Paradise Now #33
Paradise Now #39
Paradise Now #39

Soweit, so super. Aber Bialobrzeski präsentierte auch reihenweise Fotografien, die zwar nicht andere Fotografien, wohl aber die komplette Palette der Malerei zitieren. Das ist bei der „Heimat“-Serie ein bewusstes Zitat und auch anmutig, wie die deutsche Romantik in die Fotografie übersetzt wird. Die Landschaft ist heute, sagte er, nicht mehr von den Menschen bevölkert, die in ihr arbeiten, sondern von jenen, die sich während der Freizeit in ihr aufhalten. Das ist klug bedacht. Aber warum muss es bei den Schneelandschaften dermaßen breugheln, dass man mehr an den flämischen Genremaler, denn an Peter Bialobrzeski denken muss? Das kann alles eine künstlerische Spielerei sein, witzig und gewollt. Aber selbst dann drängt sich doch die Frage auf, warum die Fotografie mal wieder und einmal mehr eindeutigen Bezug auf die Malerei nehmen muss. Bei der Buchpublikation von „Lost in Transition“, einer weiteren großen Arbeit, wird im Vorwort die  Kunstgeschichte von „Manierismus bis in die Romantik“ und von „Adam Elsheimer über Jan Vermeer bis zu René Magritte“ bemüht.

Rothko auf der Rückseite vom Imax

Da Bialobrzeski in seinem Vortrag anfangs das unvoreingenommene, von den bekannten Bildern befreite Sehen gefordert hatte, wirkte es doch sehr irritierend, als er die Anwesenden explizit aufforderte, zu benennen, was sie in der folgenden Fotografie erkennen.

Transition #52
Transition #52

Zögerlich kamen zwei, drei Vorschläge in die Richtung Parkplatz oder etwas ähnlich Konkretes. Und dann sagte er, ein bisschen so, als müsse man sich als Kulturbanause fühlen, sehen Sie nicht die Bilder von Mark Rothko?

Das Foto zeigt die Rückseite eines Imax-Kinos. In zwei Plastikwänden die künstlerischen Arbeiten eines berühmten Malers zu erkennen erfordert schon ziemlich viel „wiedererkennendes Sehen“ (Max Imdahl). Und es verkennt die Qualität und Bedeutung der Farbfeldmalerei ebenso wie es eine an sich ja durchaus gelungene Fotografie auf den „Gag“ reduziert, dass an unerwarteter und banaler Stelle eine Farbfläche an einen Maler erinnert.

Als ich 1987 mein Buch „Die Autonomisierung der Fotografie“ veröffentlichte, beschrieb ich darin André Gelpke und Heinrich Riebesehl als Vertreter der ersten Generation deutscher Fotografen, die von der Ausbildung an der Folkwangschule über die journalistische Fotografie sich zu autonomen künstlerischen Fotografen entwickelten. Deshalb empfinde ich es als bedrückend, wenn sich zwanzig Jahre später ein erfolgreicher Fotograf, der diesen Weg schon in der zweiten Generation ging, präsentiert, als müsse er sich an der bildenden Kunst messen lassen, oder sich in diese Richtung dezidiert verpflichtet fühlen. Das hat die Fotografie nicht nötig (wie ein Blick in die USA jederzeit beweist), und Peter Bialobrzeski nicht, denn mit seinem Wirken und Werken wie in „Paradise Now“ hat er sich längst als Künstler mit der Kamera etabliert.

Mehr Infos und Fotos auf der Seite der Galerie Lothar Albrecht und beim Fotografen.

Eine Antwort

  1. Besonders interessant finde ich die Passage, in der Bialobrzeski darüber spricht, dass er früher Bilder „wie aus GEO“ im Kopf gehabt habe, sich davon befreien wollte und dies auch von seinen Studenten erwarte.

    Der Effekt ist bekannt, auch ich habe ständig die Bilder aus National Geographic, GEO, mare o.ä. im Kopf und bin sicher stark davon beeinflusst. Die Frage ist, inwieweit das eine Einschränkung darstellt. Natürlich gibt es ausgefallenere Arten, zu fotografieren, diese erscheinen mir aber oft einfach als Gimmick, als eine zwanghafter Versuch, anders zu sein nur des Andersseins willen. Die Beispiele von Herrn Bialobrzeski (nächtliche Pflanzen) sind ein eindrückliches Beispiel dafür. So hat möglicherweise noch niemand diese Pflanzen fotografiert – und das womöglich aus gutem Grund. Zumindest ich kann diesen Bildern weder neue Informationen noch eindrückliche Emotionen abgewinnen.

    Trotzdem bleibt die Frage, ob der Stil der vorherrschenden Magazine der Weisheit letzter Schluss ist. Gerade gestern habe ich noch eine Fotostrecke in der aktuellen (amerikanischen) Ausgabe des National Geographic gepriesen. Jodi Cobb hat Venedig fotografiert (http://ngm.nationalgeographic.com/2009/08/venice/newman-text). Das ist ein extrem schwieriges Assignment, finde ich, da es kaum eine häufiger fotografierte Stadt geben dürfte und jedermann zu wissen glaubt, wie es dort aussieht. Jodi Cobb hat es gut gemacht; besonders gefallen mir das 4., 7., 8. und 11. Bild der Strecke. Sicher hätte sie mit optischen Tricks wie etwa den Langzeitbelichtungen des Herrn Bialobrzeski arbeiten können und dann hätte dann wahrscheinlich origineller gewirkt. Der Informationsgehalt wäre aber sicher geringer geworden. Wesentlich scheint mir bei der Magazinfotografie zu sein, dem Betrachter etwas zu zeigen, das man auch mit blossem Auge sehen kann, so man am Ort ist. Das ist bei den nächtlichen Pflanzen nicht der Fall; die sehen nur durch die fotografische Technik so aus.

    Kurz und gut: es kommt sehr darauf an, mit welchem Ziel und für welche Zielgruppe man fotografiert. Das sich die künstlerische Fotografie von der Magazinfotografie unterscheidet ist sicher nichts Neues; Herrn Bialobrzeskis Studenten werden sich in dieser Hinsicht auch entscheiden müssen.