Allen Städte- und Geschäftsreisenden, die in diesem Sommer nach Madrid kommen, sei ein Besuch der zahlreichen Fotoausstellungen empfohlen. Gerade die größeren Schauen befinden sich fußläufig voneinander und von der Madrider Hauptattraktion, dem Prado, entfernt. Meine persönlichen Highlights waren (überwiegend) schwarzweiß: Cristina Garicia Roderos Lalibela-Ausstellung, Gabriele Basilico im Museo ICO, Eyes Wide Open – 100 Years of Leica Photography. Eine Ausstellung mit Kuba-Fotos von Elliott Erwitt im Real Jardin Botánico empfand ich als wenig interessant. Sie dient dazu, ein Stipendium für Dokumentarfotografen zu bewerben. Die Galerieausstellung von Alberto Garcia-Alix läuft nur bis zum 20.7., die großen Ausstellungen meist bis in den September, siehe Programm.
PhotoEspaña – Kuratiert von Alberto Garcia-Alix
Zum 20. Jubiläum des großen Ausstellungsreigens in Madrid hatte man dem wohl schillerndsten spanischen Fotografen freie Hand gegeben. Alberto Garcia-Alix durfte Ausstellungen nach seinem Gusto zusammenstellen. Dass dabei Randgruppen und Sexualität im Vordergrund stehen würden, war abzusehen. Er holte das Jugendwerk von Anders Petersen, Café Lehmitz, wieder hervor und eine andere Erscheinung aus den Sechzigerjahren, Pierre Molinier. Die erstere Ausstellung war zu sehen im Centrocentro Cibeles als räumliche Inszenierung. Kontaktbögen bis unter die Decke und ein Tisch zum Durchblättern des legendären Fotobuches von 1978 zitieren die Atmosphäre eines Lokals.
Sessel zum Betrachten stehen im Souterrain des Circulo de Bellas Artes bereit. In der dunklen Ausstellungshöhle sind die Preziosen von Pierre Molinier gehängt. Fetischismus und Cross-Dressing, transsexuelle Vorlieben und Vergnügungen auf ganz herrlich altmodische Art zelebriert. Die Bilder erinnern – auch in ihrer Inszenierung – eher an erotische Carte de visite als an Arbeiten aus der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts.
Im Museo National del Romanticismo zeigt Garcia-Alix Arbeiten des Schweizer Fotografen Karlheinz Weinberger über jugendliche Rebellen. Weinberger (geb. 1921) gehörte seit den vierziger Jahren dem schwulen Untergrundclub „Der Kreis“ an und veröffentlichte Fotos unter dem Pseudonym „Jim“.
Paulo Nozolino inszeniert zwanzig Schwarzweißfotos von dunklen Ecken in einem dunklen Raum des Circulo de Bellas-Artes, Sala Goya, unter dem Titel „Loaded Shine“. Antoine d’Agata bespielt den riesigen Sala Picasso ebendort mit kleinen an die Wand geklebten Abzügen und Video. Abhängigkeit, Sex und andere ehemalige Tabus sind das Thema seiner dunklen, körperlichen Arbeiten.
Die einzige Frau in der von Garcia-Alix kuratierten „Carta Blanca“ ist die Künstlerin Teresa Margolles aus Mexiko. Sie fokussierte sich auf die Stadt Juárez, bekannt durch Drogenkartelle und die Morde an hunderten Frauen. Margolles zeigt in Madrid die Serie „Pistas de baile“ über Transgendersexarbeiter, die auf den Überresten der Tanzflächen von Nachtclubs stehen, die nun in Schutt und Asche liegen. Die Ausstellungseröffnung wurde von einer Performance begleitet, bei der eine Wand aufgestemmt wurde.
Alberto Garcia-Alix wird von der Galerie Juana de Aizpuru vertreten und hatte dort während der Eröffnungstage auch selbst eine Vernissage. Wie zu erwarten, traf sich in und vor der Galerie halb Madrid, und Alberto kam mit dem Küssen der Eintreffenden kaum nach. Seine eigenen Schwarzweißbilder von enormer Größe sind auf jeden Fall deutlich poetischer als jene Arbeiten, die er als Kurator auswählte.
Eine Klasse für sich: Cristina Garcia Rodero
Sehr nervös stellte die international gerühmte Cristina Garcia Rodero eine neue Arbeit vor. Religiöse Riten hatten sie schon immer beschäftigt, und in Äthiopien fand sie etwas ganz Spezielles im Ort Lalibela: Eine kleine christliche Gemeinschaft mit direktem Bezug zum Heiligen Land. Sie reiste zuerst zu Ostern dorthin, fand aber keine besonderen Aktivitäten. Erst zur Weihnachtszeit konnte sie die Treffen an den heiligen Plätzen, versteckt im Gebirge, fotografieren. Sie sprach von 12 Kirchen, die denen in Jerusalem nachgebildet seien, aber im Inneren der Felsen verborgen wären. Elf davon habe sie gefunden.
Was sie als Fotografin fasziniert hat, ist leicht zu erkennen, wenn man die Bilder der umfangreichen Ausstellung Centro Cultural de la Villa betrachtet. Weiße Gewänder vor dunklen Mauern sind für eine Schwarzweiß-Fotografin natürlich ein Geschenk. Rodero ist den Menschen wirklich nah. Man hätte gerne erfahren, wie die kleine Dame die Aufenthalte in Äthopien körperlich bewältigt hat. Es ist immer wieder bewundernswert, was Fotografen jeden Alters auf sich nehmen, um die Geheimnisse dieser Welt mit der Kamera zu ergründen.
Retro Gabriele Basilico im Museo ICO
Das Museo ICO glänzt in jedem Jahr mit besonderen Ausstellungen zum Themenkreis Architektur. In diesem Jahr präsentieren sie den italienischen Fotografen Gabriele Basilico (1944-2013). Die Schau gliedert sich in drei Bereiche: Die Arbeiten aus den Achtzigern von Hafenanlagen, die er selbst später als romantisierend beschreibt. Dann folgen die beeindruckenden Arbeiten aus Beirut: „1991 kam ich nach Beirut, um das in 15 langen Jahren des Bürgerkrieg (seit 1975) geschundene Stadtzentrum zu fotografieren. Ziel war es nicht, eine Reportage über die Ruinen der Stadt zu erstellen, sondern einen „Stand der Dinge“ abzubilden, der Platz für freie und eigene Interpretation lässt.“ In einem großen dritten Teil folgen in Madrid Ansichten aus verschiedenen Metropolen, die mehr Fragen aufwerfen, als Antworten geben. Die Ausstellung läuft bis zum 10. September und es gibt einen Katalog.
Weitere Ausstellungen aus der Sección oficial
Wer die von Hans Michael Koetzle genial kuratierte Leica-Ausstellung noch nicht in Deutschland gesehen hat, kann das nun im Telefonica-Gebäude in Madrid nachholen. Es werden Führungen auf Englisch angeboten, die wirklich gut sind. Natürlich fängt es mit der Glorifizierung der Leica an, geht dann aber zügig über in eine didaktisch gut gemachte Tour durch die unterschiedlichen bildnerischen Entwicklungen in der Fotografie wie den Fotojournalismus von 1930 bis 1950 oder die Farbfotografie von 1960 bis 1990. Ergänzt wird die Ausstellung hier durch spanische Fotografie.
Ein Leckerbissen der frühen Fotografie sind die großformatigen Abzüge von Carleton Watkins (1829-1916) mit Landschaften aus den USA. Diese Sammlung ging durch dessen Verbindung zur Hispanic Society in den USA an den Maler Joaqin Sorolla. Dieser plante, danach zu malen, realisierte das jedoch nie. Die Kollektion lag hundert Jahre vergessen im Nachlass und wird nun erstmals im Casa América der Öffentlichkeit präsentiert.
Zeitgenössische spanische Autorenfotografie „Un cierto panorama“ kann man in einem besonderen Gebäude sehen, in einem ehemaligen Wasserspeicher, Sala Canal de Isabel II. Auf jeder Etage des Speichers werden zwei Projekte präsentiert, sechs insgesamt. Im Parterre werden viele weitere Fotoarbeiten in Form von Büchern präsentiert, unter der Kuppel laden Polster ein, sich bei einer Projektion zu entspannen.
Nahtlos von der Kultur zum Shopping edler Handtaschen kann man übergehen bei Loewe in der Gran Via. Dort wird im Souterrain eine Minor White (1908-1976) Ausstellung bis Ende August zu sehen sein. Unter uns: Alleine schon, um den Laden mit historischer Möblierung von innen zu sehen, lohnt es, den Besuch mit auf die Agenda zu setzen.