Portraits von Männern, von Frauen

Männer fotografieren Frauen – oder Männer, das ist nichts Besonderes. Aber für viele Frauen gilt noch heute, dass der unverhohlene Blick auf den nackten Mann ziemlich heikel ist. Die Fotografin Sally Mann hat sich mit dieser Asymmetrie befasst und stellt derzeit mit „Proud Flesh“ das Ergebnis Ihrer Überlegungen vor. Über einige Jahre hinweg hat sie ihren Mann fotografiert, dabei aber eine solche Zurückhaltung und Diskretion walten lassen, dass die Betrachterin dieser ja durchaus sehr intimen Fotografien in keinem Moment unangenehm berührt ist. Anders dagegen bei „Das Porträt. Fotografie als Bühne“, einer Ausstellung von Peter Weiermair, die noch bis zum 18. Oktober 2009 in der Kunsthalle in Wien gezeigt wird. Zeitgleich mit Colbergs Blogpost über Sally Mann traf der Katalog bei mir ein, der im Verlag für moderne Kunst in Nürnberg erschienen ist. Auch hier ist Sally Mann vertreten, allerdings mit alten Arbeiten über die unmittelbare Familie.

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Sally Mann: Holding Virginia, 1989

Das Porträt. Fotografie als Bühne

Blättert man den Porträt-Katalog durch, wird der Blick erstaunlich häufig auf Penisse nackt oder locker umspielt von Feinrippslips gelenkt (wurden nicht als Pressefotos freigegeben). Konventionelle, eher journalistische Künstlerporträts wie sie von Andrea Cometta, Anton Corbijn, Gerhard Klocker und Barbara Klemm ebenfalls vertreten sind, wirken dagegen geradezu verklemmt und altertümlich. Ein arger Kontrast sind diese journalistischen Fotografien auch zur klaren, coolen Bildsprache, wie sie Rineke Dijkstra, Amy Elkins, Luigi Gariglio oder auch Jean-Baptiste Huynh oder Thomas Ruff zeigen. Bei denen leuchtet die Metapher mit der Bühne ein. Womöglich auch bei den (positiv) heraus stechenden Arbeiten des Becher-Schülers Bernhard Fuchs, der die Menschen seiner österreichischen Heimat liebevoll und perfekt in ihrer natürlichen Umgebung fotografiert.

Überhaupt fragt man sich nach der Lektüre der Vorworte, welcher Begriff von Porträt bei der Auswahl zugrunde lag. Natürlich ist hier stets die Beziehung des Fotografen zum Fotografierten thematisch, aber viel mehr wirken die ausgewählten Arbeiten doch wie Projektionen: von sexueller Potenz und Attraktivität, künstlicher Schönheit, Starqualitäten oder Geistesgröße, besserer Gesellschaft. Roger Ballen projiziert politische Inhalte in die Zurschaustellung von Freaks; Leo Kandl Bedeutung in schaurig schlechte Fotos von Zufallsbekannten. Und Thomas Bernhard-Leser projizieren Schimpfkanonaden in das Foto, auf dem man den Autor in einem seiner fast leeren Räume sieht.

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Amy Elkins, Bon, Brooklyn, NY, 2008

Was hat, darüber hinaus, die Häufung von Haarschneidefotos zu bedeuten? Auf Seite 165 fotografiert Andreas Mader einen gewissen Udo mit Frisierumhang, Hellen van Meene ist auf Seite 181 mit einem Motiv vertreten, bei dem einem Jungen die langen Haare geschnitten wurden, und auf Seite 205 sieht man einen Männerkopf von hinten, bei dem die Ohrmuschel verletzt ist: „Haircut“ von Wolfgang Tillmans. Was will uns das sagen? Die Frisur als Synonym für Identität? Das Haareschneiden als Sinnbild der Kastration? Oder alles nur Zufall?

Das größte Rätsel könnte aber das „Portrait of a Young Man, 2006“ von Clegg & Guttmann aufgeben. Und zwar nicht, weil man sich fragt, wie es ein Foto, bei dem sich die Lampe neben dem Porträtierten in der Vitrinentür spielt, bis in eine Ausstellung schafft, sondern: Was sind das für Scheiben mit Delfter Muster in der Vitrine? Sägeblätter zum Sammeln? Oder, wie der Kontext nahe legen könnte,  Accessoires für eine seltene Sexualpraktik? Nein, belgische Kunst. Von Wim Delvoye, der auch Butangasflaschen weiß-blau verzierte.

So reizend schräg wie die Sägeblätter ist ansonsten nur der Mann mit dem bezaubernden Künstlernamen Anthony Gayton und seine „Ladslove“ genannte Serie auf alt getrimmter Slipträger-Porträts. Auch wenn die Gender-Diskussion schon arg strapaziert ist, die Fotos von Amy Elkins sind zeitgemäß und spannend: für sie ist der männliche Körper jedenfalls keine fotografische Tabuzone. Sie guckt genau hin. Und es ist nicht immer so schön wie Bon, was sie uns zeigt.

4 Antworten

  1. „Hellen van Meene ist auf Seite 181 mit einem Motiv vertreten, bei dem einem Jungen die langen Haare geschnitten wurden“. I don’t have the book with me right now, but I think that the photo you’re writing about shows a boy who wears his (out-of-shot) sisters‘ hair as some sort of wig.

    And yes, there are a lot of penises in the book.

    1. The photo you are thinking of is in the book as well, but the one on page 181, I am refering to, shows a boy with cut off hair on his shoulder – maybe it is not his but his sisters‘.

  2. You’re right that I was thinking of the other photo.

    The hair on the photo on page 181 is indeed his sister’s hair. But it’s not cut off: she’s hidden underneath his t-shirt – you can make out her face in the lower left corner.