Die erste Einzelausstellung der deutsch-amerikanischen Künstlerin Rebecca Sampson findet vom 2. November bis 16. Dezember 2018 im Foam Fotografiemuseum Amsterdam statt. Sampsons Arbeit ist eine fotografische Studie über das tägliche Leben indonesischer Hausangestellter in Hongkong. Mit wenig Freizeit oder persönlichem Freiraum konstruieren diese Arbeitsmigranten eine parallele Identität mithilfe von Social-Media-Kanälen. Fernab von Zuhause und in einer völlig weiblichen Subkultur entwickeln die Frauen eine mehrdeutige sexuelle Identität. Sampson porträtiert diese Bevölkerung in einer vielschichtigen multimedialen Erzählung, bestehend aus Dokumentarfotografie, Social-Media-Filmmaterial und Text.
Über 300.000 ausländische Hausangestellte arbeiten und leben in Hongkong. Die große Mehrheit kommt aus Indonesien und den Philippinen. Diese Frauen arbeiten normalerweise zwölf Stunden am Tag, sechs Tage in der Woche, unter erschreckenden Beschäftigungsbedingungen. Obwohl sie offiziell Anspruch auf einen freien Tag in der Woche haben, wird dieses Gesetz in der Praxis oft nicht beachtet. Diese Frauen schlafen auf einer Matratze neben der Waschmaschine, in der Küche oder unter der Treppe. Oft fehlt ihnen der private Raum, um ihre knappe Freizeit zu verbringen. Bei einem Besuch in Hongkong im Jahr 2013 beobachtete Sampson, wie Hunderte von Arbeitsmigranten – die einen Tag lang quasi obdachlos waren – ihre Sonntage in den Parks und öffentlichen Bereichen der Stadt zubrachten. Die Fotografin begleitete sie zu Schönheitswettbewerben, in Nachtclubs, zu inszenierten Hochzeiten und in aufwendig dekorierte Mietcontainer, wo die wenigen Glücklichen, die es sich leisten können, ihren freien Sonntag verbringen.
Aufgrund des Mangels an persönlichem Freiraum und im starren Korsett ihrer täglichen Hausaufgaben eingesperrt, suchen viele Frauen in sozialen Medien nach Trost, wo sie ein umfangreich ausgearbeitetes Alter Ego pflegen. Für diese Frauen bieten Fotografien ein starkes (und oftmals das einzige) Mittel, um ein gewisses Maß an Autonomie zu erhalten. Das gegenseitige Streben nach Intimität und (sexueller) Identität wird weitgehend online in Form von Fotos und Videos ausgedrückt, die in sozialen Medien geteilt werden.
Sehnsucht nach Zweisamkeit und Familie
Sampson sammelte Selfies von Hausangestellten, die als Comic-Helden oder Popstars verkleidet waren, sowie private Videos ihrer täglichen Arbeitsumgebung und Fotos ihrer improvisierten Schlafbereiche. Es ist eine Welt, die von Gender-Fluidität und einer eindeutig lesbischen „Subkultur“ geprägt ist, die die Fotografin unter anderem der Unmöglichkeit zuschreibt, eine heterosexuelle Beziehung oder ein Familienleben in einer ausschließlich weiblichen Gemeinschaft aufrechtzuerhalten, sowie die Einsamkeit und Sehnsucht nach einer Verbindung, die unter solch isolierten Lebensbedingungen ganz logisch ist. Sampson dokumentierte Traumhochzeiten zwischen Hausangestellten – die als Prinzessin gekleidete Braut, die andere als der Bräutigam – und stellte „Familien“ dar, bestehend aus jungen Mädchen und Tomboys, die sich liebevoll um ihre Puppen kümmern, als ob sie ihre Kinder wären.
Die von Sampson und von den Hausangestellten selbst gemachten Porträts bilden einen scharfen Kontrast zu den Passfotos, die den Antragsformularen beigefügt sind, die Sampson dadurch erhalten konnte, dass sie sich als potenzieller Arbeitgeber ausgab. Die Künstlerin stellte die von der Agentur bereitgestellten Fotos – gehorsam lächelnde Damen mit Schürze – und den Text „Apples for Sale“ – den Bildern voran, die diese Arbeiterinnen in den sozialen Medien gepostet hatten. Die Diskrepanz zwischen der konstruierten Typologie der Musterhaushälterin und den Bildern ihrer verzweifelten Versuche, dem trüben Alltag zu entfliehen, wirft die Frage auf, welches der beiden Bilder am weitesten von der Realität entfernt ist.
Rebecca Sampson (Deutschland, 1984) studierte Fotografie an der Ostkreuzschule in Berlin. Ihre Arbeiten wurden international gezeigt und waren 2018 Teil der Ausstellung „Gute Aussichten Deluxe“ in den Deichtorhallen / Haus der Photographie, Hamburg. Rebecca Sampson ist die zweite Empfängerin des Florentine Riem Vis Grant, der zum Gedenken an Florentine Riem Vis (1959-2016) gegründet wurde. Das Stipendium wird jährlich mit dem Ziel vergeben, junge fotografische Talente bei der Entwicklung ihrer künstlerischen Karriere zu unterstützen. In diesem Jahr erschien auch Sampsons erstes Buch „Apples for Sale“ im Kerber Verlag. Die Fotografin lebt und arbeitet in Berlin.
Credits all images: from the Series „Apples for Sale“, 2016-17 ©Rebecca Sampson
The research for the project Apples for Sale was funded by the Robert Bosch Stiftung in cooperation with the Literarisches Colloquium Berlin and within the context of the program Grenzgänger China–Deutschland.