Das aktuelle Chauvi-Foto

Es war einmal so schön, mit dem Fotografieren seinen Lebensunterhalt zu verdienen, gar berühmt zu werden. Wir erinnern knallig bunte Bilder von jungen Frauen in verführerischen Posen. Der Mythos vom Fotografen, der die tollsten Models vor der Linse dirigiert und den ganzen Tag am Strand,  nachts in angesagten Clubs abhängt. Fotografie ist so sexy!

Heimat: Gretchenfrisur und Dirndelschlüpfer

Doch diese hartnäckigen Vorstellungen sind so Achtziger und Neunziger! Was nicht heißen soll, es gäbe das nicht mehr. In der Klum’schen Modelsuchsendung treten ja regelmäßig jene Fotograf*innen auf, die dafür sorgen, dass die Meedchen sexy rüberkommen. (Christian Schuller als ehrenwerte Ausnahme.) Das aktuelle Heft der ProfiFoto präsentiert mit dem anscheinend griesgrämigen Hans Feurer und der immer lustigen Ellen von Unwerth gleich zwei Vertreter der alten Chauvi-Fraktion – der anzugehören nun wirklich kein männliches Privileg darstellt. Das Titelbild zeigt eine nahezu nackte Frau mit Brustnippelpiercing und Gretchenfrisur an Weißwurst. Die Penissymbole am laufenden Meter bedienen den Geschmack jener Herren, an die sich auch die Potenzmittelwerbung richtet. Seit den Fünfzigerjahren wird mit der Frau als Lustobjekt unverändert versucht, Fotomagazine an den Mann zu bringen. Ziehen 2017 noch immer Titten-Titel? Jetzt „modern“ weil mit käsigem Blitzlicht!?

Fotografinnen kämpfen

Seit 29 Jahren und 301 Ausgaben beweist das Magazin Photonews wie eine Fotozeitschrift profitabel sein kann, ohne sich dezidiert an männliche Käufer zu wenden. Fotografinnen sind keine Ausnahme mehr, sondern die Regel. Über 50 Prozent der Absolventen in der Berufsausbildung sind Frauen. Perfiderweise wird das oft mit den gesunkenen Einkommenserwartungen begründet. Frauen wären eher bereit, schlecht bezahlte Berufe zu ergreifen als Männer. Was für eine tendenziöse Interpretation! Empathischen, sensiblen und kreativen Menschen geht es womöglich weniger ums Geldverdienen als vielmehr darum, selbstbestimmt eine sinnvolle Tätigkeit auszuüben. Was nicht heißt, dass sie alles dankbar annehmen, was ihnen monetär angeboten wird.

Tamina-Florentine Zuch (Jg. 1990) verhandelt über Honorare statt klein beizugeben. In Photonews 9/17 äußert sie die Vermutung, viele Frauen würden sich das nicht trauen, weil es nicht üblich sei oder sie nicht gerne über Geld reden. Allein, dass sie es anspricht, sollte als Ermutigung genommen werden, sich für ein ordentliches Honorar einzusetzen. Sie sagt auch, sie müsse „als Frau eher 120 Prozent geben und dafür kämpfen“, für sich „alleine wahrgenommen zu werden und nicht zum Beispiel als Freundin von …“.

Geld ist nicht alles

Wer heute die Fotografie als Beruf ergreift, um auf bequeme Weise gut Geld zu verdienen, ignoriert die Entwicklung der letzten Jahre. Tamina-Florentine Zuch mag sich gar keine Corporate-Aufträge suchen, mit denen sich nach wie vor ein solides Einkommen erwirtschaften lässt. Sie wendet sich lieber dem Schreiben zu. Ein noch brotloseres Handwerk als die Fotografie, aber eine ganz wunderbare Aufgabe, seine Gedanken zu sortieren und in Worte zu fassen. „Geld ist nicht alles – aber viel“, wie die Artikelserie in Photonews so schön heißt.

Peter Bialobrzeski: Hamburg, 2011. Aus der Serie: „Die zweite Heimat“ 2011-2016
© Peter Bialobrzeski

Zweite Heimat: Provinz mit Mundgeruch

Peter Bialobrzeskis Buch und Ausstellung „Zweite Heimat“ wird von Denis Brudna besprochen: Es ist ein „genauer, zum Teil fast liebevoller Blick auf eine Garagengruppe oder unter den Rock einer gewöhnlichen Kleinstadt, der offenbart, dass Bialobrzeski bei den Ausblicken zwar etwas leidet, sich dennoch nicht zu Spott und Häme hinreißen lässt.“

Fürs Thema Heimat müssen, wie man sieht, keineswegs Klischees durchfotografiert werden. Immer noch Erfolg mit der alten Softpornomasche zu haben, ist aber offenbar möglich und lukrativ.
Wer jedoch heute seinen Traum vom Leben mit und für die Fotografie realisieren will, sollte sich bitte nicht die Ewiggestrigen zum Vorbild nehmen, mögen sie noch so weltberühmt sein.

Ellen von Unwerths Buch „Heimat“ ist im Taschen Verlag erschienen und für 750 Euro zu kaufen.

Peter Bialobrzeski: Die zweite Heimat, 8.9.2017 bis 7.1.2018 im Haus der Photographie/Deichtorhallen Hamburg. Buch 38 Euro.

Was sagen Sie? Sehen Sie lieber „Fotos von provinzieller Urbanität mit leichtem Mundgeruch“ wie Denis Brudna in Photonews formuliert? Oder finden Sie, Fototechnik und Sex, das ist halt Tradition, an der Mann hängt?

4 Antworten

  1. „Ziehen 2017 noch immer Titten-Titel?“

    Klar, aber heute halten viele das (Dank Fotogruppen bei Facebook etc.) für Portraitfotografie.

    Wenn man sich das Schaffen weiter Teile der deutschen Amateurfotografie anschaut, dann muß man zu dem Schluß kommen, die Rolle der Frau besteht darin, irgendwo in unvollständiger Unterwäsche in der Landschaft rumzustehen oder gleich irgendwelche Fetisch-Fantasieen auszuleben.

    Und wenn eine Frau Sommersprossen hat, immer in Schwarz-Weiß!

  2. @Sascha Rheker: Zum Glück gibt es auch eine andere „Amateurfotografie“ (die „“ weil ich das Wort nicht sonderlich schätze). Das ist zwar jetzt ein wenig Eigenwerbung, aber ich finde es wichtig und richtig darauf zu verweisen, dass „Amateurfotografie“ eben nicht nur aus meist furchtbarer Akt-Fotografie oder – hier im Ruhrgebiet sehr beliebt – HDR-gepimpten Industriekulissen besteht: http://projektraum-fotografie.de/

    Jene Herren, meist auffällig beleibt, die mit teuerster Ausrüstung meinen weibliche Körper in Szene setzen zu müssen und mit halb unterdrücktem Schnalzen der Zunge von der erotischen Spannung, die zwischen Model und und Fotografen dabei entstehen würde, daher faseln, kenne ich natürlich auch. 😉

    1. Es ist sehr diskriminierend von beleibten älteren Herren zu schreiben und die dann in die Ecke der tittengeilen Amateurfotografen zu rücken.
      Ich zähle mich zu allen dreien, älter, sehr beleibt und Hobbyfotograf, sogar mit teurer Ausrüstung. Aber ich kam noch nie auf die Idee, die Mandel einer Frau aus der Perspektive zwischen ihren Beinen zu fotografieren. Ich glaube, dass ist mehr der Generation 20-30+ zuzuschreiben, die noch in den Anfängen stecken.