In meinem grünen Zimmer hängt neben dem Fenster und damit vor Sonne geschützt, gegenüber der Tür, das Porträt eines sitzenden Mädchens der amerikanischen Fotografin Beth Yarnelle Edwards. „Suburban Dreams“ heißt ihre berühmte Serie, in der sie Familienszenen in Vorstädten zeigt. Angefangen hatte die inzwischen in San Francisco lebende Fotografin damit im Silicon Valley. Schließlich dehnte sie ihre anthropologisch-soziologisch inspirierten Erkundungen nach Europa aus. „Mein“ Foto sieht etwas anders, man könnte auch sagen: normaler aus, als ihre sonstigen, bei denen mir stets besonders gefällt, dass sie die Motive beziehungsweise Akteure in die Tiefe des Raumes hinein staffelt. Eine Option, die meiner Ansicht nach viel zu wenig Fotografen heute noch wahrnehmen.
Dieses Kinderfoto habe ich richtiggehend in einer Galerie erworben, es war preisgünstig zu haben. Das hat zwei Gründe: Aus Galeriesicht ist es ein Nebenwerk, das sich ein Sammler folglich nie kaufen würde. Die Auflage wurde auf 50 Exemplare hochgesetzt und damit das Bild für den klassischen Kunstmarkt ohnehin untauglich. Da ich nicht sammle, war es für mich eine gute Gelegenheit, den Abzug von einer Fotografin zu erwerben, die ich sehr schätze. Die künstliche Begrenzung auf eine Auflage finde ich seit jeher kurios. Ist doch die Reproduzierbarkeit das Spezifische der Fotografie. (Aber die künstliche Verknappung ist nun einmal das Spezifische des Kunstmarktes.) Statt um die Auflage geht es mir um die Aura. Der Fotograf muss das Bild nicht einmal signiert haben, wenn er es mir persönlich übergibt. Aber ich möchte über den Abzug eine Verbindung „zum Künstler“ herstellen können. Und das funktioniert eben nicht bei einem online bestellten Maschinenprint zu dem mir dann ein ausgedrucktes Zertifikat mitgeliefert wird. Da wird Fotografie degradiert zur Wanddekoration. Ein Nebenwerk, handsigniert, ist mir 1000mal lieber. Oder, wie Andi Möller sagen würde: „Da hat man vom Feeling her ein besseres Gefühl.“
Das Kauf-Entscheidende bei jedem Foto sollte erst einmal sein, dass es gefällt. Oftmals gefallen uns jedoch Motive, die dekorativ sind, die sich auf einen Blick erfassen lassen. Das Kinderfoto geht in diese Richtung. Großer Nachteil von Dekofotografie: Wird sofort langweilig. Aber zum Glück bietet dieses Bild mehr als schöne Farben und Formen. Das Kissenarrangement deutet auf „Prinzessin“ hin, die Kleidung lässt an eine Ballerina denken. Aber dem Gesichtsausdruck fehlt völlig jedes Rollenspiel, er ist offen, gesammelt, bei sich, ja fast schon meditativ. Das spricht alles dafür, dass Beth Yarnelle Edwards das Mädchen mit der Großformatkamera fotografiert hat – oder zumindest mit viel Ruhe und Zeit vom Stativ. Es ist – im Unterschied zum Tina-Foto im Beitrag unten – keine Momentaufnahme, sondern eine Zusammenarbeit zwischen Fotograf und Fotografiertem. Schön ist das Detail der Knieblessuren, die das Bild der Prinzessin relativieren.
Fotografien, auf denen es gelingt, soziale Lebenswelt zu verdichten, sind per se interessant. Sie zeigen mehr, als wir unmittelbar abgebildet sehen, indem sie auf etwas außerhalb des Bildrandes verweisen. Hier zum Beispiel darauf, dass Katherine in einem gediegenen Elternhaus aufwächst und gerne draußen rumtobt oder einem Sport nachgeht. Dieser Verweis auf das Leben und die Erfahrungen außerhalb gleicht die Ausschnitthaftigkeit der Fotografie aus.
(Teil II über Beth Yarnelle Edwards Hauptwerk folgt.)