Ein Leben ohne die Fotografie kann ich mir nicht vorstellen. Zum Leben mit Fotografie gehört für mich vor allem ein Leben mit den Fotografien an meinen Wänden. Dabei mische ich eigene mit erworbenen Prints. Das ist keine Sammlung, sondern eine persönliche Kollektion von Arbeiten, die mir größtenteils von den Fotografen aus Dank geschenkt oder auch auf mein Bitten hin großzügig überlassen wurden. So etwas war zu analogen Zeiten noch üblich, da waren sogar Pressefotos gelegentlich auf Barytpapier vergrößert. Es geht mir also nicht um den materiellen Wert, den ein Abzug möglicherweise darstellt, sondern um die visuelle Bereicherung.
Statt also immer nur daran zu denken, wie man seine eigenen Fotos an die Wand von Fremden bringt, soll diese heute beginnende Serie ermuntern, Arbeiten von anderen bei sich aufzuhängen. Ich beginne mit einem Motiv, das, seit ich es besitze, mein „Küchenbild“ ist, das heißt, seit 1990 in meiner jeweiligen Küche hängt. Das wird so bleiben, so lange ich eine Küche habe.
„Tina warming her feet at an oven, sitting on empty herbicide bucket, Edneyville, North Carolina, 1979“ ist aus der Serie „Fruit Tramps“ des US-amerikanischen Fotografen Herman LeRoy Emmet. Es zeigt die dreijährige Tina Tindal auf einem Eimer, in dem vorher Pflanzenschutzmittel waren, umgeben von Wänden aus Pappe in einer Hütte für Wanderarbeiter. Herman hat sieben Jahre lang die letzte weiße Familie der Wanderarbeiter begleitet, die von Ort zu Ort ziehen, um sich als Obstpflücker zu verdingen. Dabei hat er auch selbst mit angepackt. Kennengelernt habe ich den Fotografen seinerzeit auf dem Fotofestival in Arles, Frankreich.
Da ich ja schon etwas länger in der Branche bin, hatte ich das Vergnügen, etlichen berühmten Fotografen in Person zu begegnen. Gisèle Freund habe ich interviewt, mit Helmut Newton gegessen, für Larry Fink gekocht und von Bruce Gilden ein Foto gemacht. Aber ausgerechnet Herman LeRoy Emmet, der nicht mal mehr so recht als Fotograf aktiv ist, sondern seit Ewigkeiten als Makler in den Hamptons lebt, hat meinen Glauben an das Gute, Wahre und Schöne in der Fotografie wie kaum ein anderer befördert. Die „Fruit Tramps“ sind berührend und unglaublich intensiv, die Hinwendung des Fotografen zur Familie Tindal herzlich und ehrlich. Die Diskrepanz zwischen der Herkunft des Fotografen und dem Milieu, in das er so intensiv eintauchte, ist so groß, dass es mich damals fast umgehauen hat. Und ganz sicher hat es mich auch ermutigt, später selbst über Jahre ein freies Projekt zu fotografieren.
In den vergangenen Jahren habe ich immer wieder einmal versucht, die Spur von Herman aufzunehmen. Jetzt fand ich auf einem Blog einen Eintrag, dass es jemandem ähnlich ging. Da wird Herman LeRoy Emmet ein großer Einfluss auf die Musik des Bloggers attestiert. Dort fand ich auch den Link zu einer Hamptons-Website, auf der Herman erscheint und sogar schreibt, dass er für das deutsche GEO die Tindals 1992 noch einmal aufsuchte und fotografierte. Und aus einem Kommentar muss man leider auch entnehmen, dass Herman an Parkinson leidet und dies das Ende seiner Karriere als Fotograf bedeutete, der für National Geographic und Life fotografiert hatte. Die „Fruit Tramps“ blieben seine einzige dokumentarische Serie. Aber was für eine! Sie hat das Leben der Fotografierten vielleicht sogar weniger beeinflußt als das von allen, die das Glück hatten, damit in Berührung zu kommen. Thank you, Herman!
2 Antworten
Bilder von anderen aufzuhängen – sie zu Begleitern zu machen – geht nur wenn man einen Bezug zu ihnen hat. Ansonsten ist es pures Sammeln.
Ich sammle Fotografien und habe trotzdem einen Bezug zu jeden einzelnen gekauften Bild. Auch wenn ich den Fotografen nicht persönlich kenne. Und natürlich hänge ich sie auch auf, weil die Fotos besser als meine eigenen sind.
Schade das kaum ein Fotograf (ob Profi oder Amateur) bereit ist, Geld für ein „Konkurrenz-Produkt“ auszugeben. Kann man ja alles selber viel besser.
Tina würde mir auch in meiner Küche gut gefallen.