Eindrücke vom Schau Festival in Dortmund

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Die unterschiedlichen Motive auf Patrick Willocqs Visitenkarte sind eine echte Alternative zu Fußball-Sammelbildern.

Vom 20. bis 22. Juni 2014 fand in Dortmund ein Fotofestival statt, das sich leider wenig bekannt gemacht hatte. Als Geheimveranstaltung parallel zum Festival in Hannover war der Event in Dortmund eigentlich nicht geplant gewesen, bestätigte Haiko Hebig (Veranstalter zusammen mit Heimatdesign), und ursprünglich sollte er auf einer passenderen Etage des top schicken Kulturzentrums Dortmunder U stattfinden, aber da mussten die Veranstalter klein beigeben.
Nach Dortmund waren Fotografen aus aller Welt eingeladen worden wie Eman Ali aus Bahrein, Protick Sarker aus Bangladesh, aber auch Fotografinnen und Fotografen aus Iserlohn und Pinneberg. Die Veranstaltung war viel versprechend besetzt, konnte den hohen Anspruch aber nicht so ganz einlösen.
Namhafte Fachleute und Fotografen wie Martin Parr oder Tobias Zielony hatten jeweils drei Newcomer nominiert. Angereichert wurden diese interessanten bis hoch spannenden Positionen durch Nominierungen von Studentenarbeiten. Bei den präsentierten Abschlussarbeiten konnte einem Angst und Bange um die Zukunft der Studenten werden.

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Ohne Worte

Stulli und Ruinen-Porno

Man könnte den Eindruck gewinnen, es käme darauf an, dass der Student Spaß hat und Fotos von parkenden Autos oder Brücken dabei herauskommen. So erzählte denn einer, er habe in der gewählten Stadt ein Foto gemacht, gemütlich eine Stulle gegessen, bevor er in die andere Richtung fotografierte. Leider sieht das ganze Projekt deprimierend unengagiert ist. Und man fragt sich unwillkürlich: Wer außerhalb der Uni soll sich für den x-ten Aufguss früher Becherschule interessieren? Und warum wird in den Begleittexten immer behauptet, der Fotograf würde Fragen an sein Untersuchungsgebiet stellen? Wo bleiben die Bemühungen darum, Antworten zu finden? Ein anderer schmiss gleich seine hoch subjektiven Realitätsausschnitte auf den Tisch, nach dem Motto: Soll doch jeder mit machen oder sich denken, was er will. Da das Publikum überwiegend studentisch war, blieb man quasi unter sich und Irritationen über solche indifferenten Haltungen kamen gar nicht auf.

Gerne mokiere ich mich ja ab und an über das Fotografieren von Ruinen und das Pittoreske als Sehnsucht des Fotografierenden. Martin Parr verdanken wir nun den herrlichen Begriff „Ruinen-Porno-Trend“, „einem Stil, der den Verfall in den prächtigsten Farben zeigt“. Die von ihm nominierte Jill Quigley aus Irland demonstrierte mit bemalten Innenansichten verlassener Cottages, was man darunter verstehen kann. Eine sehr zivilisierte und eher kubistisch anmutende Trend-Version präsentierte die im Open Call nominierte Andrea Grützner mit „Erbgericht“; eine Bildautorin mit Potenzial und einer in Arbeit befindlichen, sehr berührenden Serie namens „Tanztee“ (die in Dortmund noch nicht zu sehen war).

Auf der zweiten Etage des Dortmunder U’s hatten die eingeladenen Künstler jeweils einen kleinen Stand, um ihre Arbeiten zu präsentieren. Parallel fanden im Parterre im Kinosaal Vorträge der nominierten Fotografen statt. Die waren es, weswegen es sich gelohnt hätte, nach Dortmund zu fahren. Das meinten wohl auch die Fotografen, die lieber im Kino saßen, als sich an ihren Ständen aufzuhalten. Es wäre wünschenswert, in Zukunft Vortragsblöcke und „Künstler-am-Stand-Zeiten“ zu trennen, so dass der Austausch befördert wird und die Fotografinnen und Fotografen nicht ständig in der Sorge leben, sich entweder zu langweilen oder etwas zu verpassen, was ein Kollege präsentiert.

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Benedicte Vanderreydt präsentierte ihre Arbeit „I am 14“ über die Selbstrepräsentation von drei jungen Mädchen, die in unterschiedlichen Kulturen leben.

Schau live statt online

Dabei muss ich wirklich sagen, dass es eine große Bereicherung war, das, was man aus dem Internet kennt, mal wieder live zu erleben: Von den langweiligen Arbeiten über Städte oder beliebige Realitätsausschnitte über die dezidiert KUNST schreienden Ich-Ergüsse bis zu den originellen und durchdachten Arbeiten, deretwegen man gekommen war. Anscheinend zerfällt dieser Bereich in zwei Teile: Diejenigen, die immer nur um sich kreisen, auch wenn sie anderswo fotografieren, und keinen Bezug zu ihrem Gegenstandsgebiet herstellen können, der jenseits der eigenen Befindlichkeit liegt. Und den anderen, die in einer verantwortlichen Haltung sich auf ihr Thema einlassen und auch Gedanken darüber machen, wie sie nicht nur nehmen, sondern auch (zurück-) geben können. Wenn Protick Sarker (nominiert von Hester Keijser) den stillen Alltag seiner Großeltern in Bangladesh in wie von Hitze überstrahlten Bildern einfängt, ist das auch sehr persönlich. Aber auch sehr eindrücklich und spannend anzusehen. Vor allem das bewegte Bild seiner Großmutter, das atmende Porträt einer verharrenden, nicht mehr sehr mobilen alten Dame.

Auch nur live erlebbar: die anwesenden vollbärtigen jungen Männer, bei denen man nie sicher sein kann, ob sie sich am Künstlerbild des späten 19. Jahrhunderts orientieren oder doch bloß an der Werbung von H&M. Die jungen hiesigen Frauen wollen als Künstlerin gern am mädchenhaften Kleid/kurzen Rock über Leggings/Hosen in derben Schuhen/Stiefeln zu erkennen sein. Dresscodes oder überhaupt Codes bestimmter (Alters-)Gruppen sind ein wunderbar fotografisch umzusetzendes Thema. Tobias Zielony kennt sich damit aus und nominierte dankenswerterweise Benedicte Vanderreydt, die aus Paris kam, um ihr Projekt „I am 14“ vorzustellen. Sie hat sich sehr intensiv mit den Codes befasst, die für heutige Vierzehnjährige relevant sind. Die zeigen sich in erster Linie auf den unzähligen Fotos, die sie auf Facebook posten, mehr als fünfzig am Tag sind wohl normal. Benedicte Vanderreydt hat sich, was nicht so einfach war, drei Protagonistinnen in drei unterschiedlichen Kulturen gesucht, und sie mit ihren Freundinnen so inszeniert, wie es sich für sie jeweils organisch ergab. Als gebürtige Belgierin begann sie mit Valentine in Brüssel und ging dann in die (einstmals von Belgien kolonialisierte) Demokratische Republik Kongo, wo sie Loraine fotografierte, sowie Ru’a in einem Flüchtlingslager in Palästina. Spontan bot ich Benedicte an, sie mit einem Interview in mein in Arbeit befindliches Buch aufzunehmen.

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Patrick Willocq kam aus Paris, um seine neueste Arbeit zu zeigen, die er nach seiner Ausstellung beim Fotofestival in Arles in der DR Kongo fortsetzen wird.

Der leider nicht anwesende Carlos Spottorno sowie Patrick Willocq sind zwei weitere Schau-Hochkaräter, die ich für das im September erscheinende Buch „Fotopraxis mit Perspektive“ bereits vor einigen Monaten ausgewählt und interviewt habe.
Speziell bei der neuen Arbeit von Patrick Willocq „I am Walé Respect Me“ kann man schon fassungslos staunen über die aufwändigen Inszenierungen, die er zu Liedern erstellt. Diese werden von Ekonda-Frauen mit ihrem ersten Kind gesungen, wenn sie aus der jahrelangen Ausbildungszeit bei den Eltern zurück zu ihrem Mann kommen. Hier war der Vortrag mit der Präsentation von Hintergrundmaterial so gelungen wie erhellend.

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Organisator Haiko Hebig (rechts) im Gespräch mit Lorenzo Vitturi, der von Martin Parr nominiert wurde und aus London kam, um seine farbigen Stillleben zu zeigen, die mit Fundstücken von einem Markt im Osten Londons entstanden.

Zusätzlich immer wieder herrlich: Die neue Weltläufigkeit, der wir alle verfallen sind. Aufgrund der Internationalität der eingeladenen Künstler wurde nur Englisch gesprochen. Im Unterschied zu den oft mehrsprachigen Künstlern, sind wir, die wir nicht Englisch als Muttersprache haben, schon im Dauernachteil und unter Rechtfertigungsdruck. Moderator und Organisator Haiko Hebig hat das prima bewältigt. Hoffen wir auf eine Schau-Fortsetzung im nächsten Jahr!

2 Antworten

    1. Klasse!!!:
      „Und man fragt sich unwillkürlich: Wer außerhalb der Uni soll sich für den x-ten Aufguss früher Becherschule interessieren? Und warum wird in den Begleittexten immer behauptet, der Fotograf würde Fragen an sein Untersuchungsgebiet stellen? Wo bleiben die Bemühungen darum, Antworten zu finden?“