In Tokio herrscht business as usual. Es hat gar nicht gewackelt. Mit einer Ausnahme. Im Museum of Contemporary Art gleich nach der Pressekonferenz von Thomas Demand als wir mitten im Raum standen und den Eindruck teilten, unter uns fahre eine überdimensionierte U-Bahn. Die Arbeiten von Thomas Demand bewegen sich derweil auch. Zu den absolut beeindruckendsten Arbeiten von ihm gehören die Moving Images, die in dieser großen Einzelausstellung zusätzlich zu den bekannten Werken präsentiert wurden: eine Rolltreppe und Regentropfen, die prasseln. Wesentlicher Teil der Illusion ist hier Ton. Nachdem es immer ein wenig rätselhaft war, warum ein Bildhauer, der ja in den Raum hinein arbeitet, sich für die Präsentation seiner Arbeiten der Fotografie zuwendet und somit Illusion durch Zweidimensionalität erzeugt, erscheint die Erweiterung in neue Dimensionen nur folgerichtig und eben deshalb wohl auch so überzeugend als künstlerische Weiterentwicklung.
Thomas Demand, der seit zwei Jahren in Kalifornien lebt, um Ruhe für die Arbeit zu haben, kommt immer wieder gerne nach Japan. Drei Ausstellungen hatte er schon hier, aber das ist die erste Einzelausstellung in einem Museum. Das Museum für zeitgenössische Kunst ist ein imposanter Bau, der den Arbeiten von Demand sowohl Raum gibt, als auch Dank der klugen Installation ihr Geheimnis lässt. Gegen so subtile Werke wie den Maschendraht oder das Rasenstück wirkt das Fukushima-Kontrollraum-Monumentalwerk etwas zu kalkuliert. Aber gewirkt hat es offensichtlich, zumal die üppig versammelte japanische Presse sich mit ihren Fragen auf diese aktuelle Arbeit bezog.
Floating Island von Shingo Suzuki
Demands Erfolg in Japan ist schon sehr beeindruckend, zumal es in Tokio ein Pendant gibt und, anders als in Deutschland, Kuratoren in anderen Ländern normalerweise ihre eigenen Künstler favorisieren. Shingo Suzuki ist ein Altersgenosse, studierte ebenfalls bildende Kunst und trat gleichfalls Anfang bis Mitte der Neunziger mit aus Papier konstruierten, abfotografierten Arbeiten in die Öffentlichkeit. Er hat zeitgleich mit Demand eine Ausstellung in einer kleinen, feinen Galerie, der Zen Photo Galerie. Als er vor Jahren feststellte, dass es noch jemanden gab, der die gleiche Idee hatte, konnte er lange gar nicht mehr arbeiten und musste von Galeristen und ehemaligen Professoren überzeugt werden, die – wie ich vermute – Schere wieder in die Hand zu nehmen. So viel zu dem Thema Künstlerschicksal. Die Arbeiten sind übrigens gut und gar nicht mit denen Demands zu verwechseln, zumal Suzuki mit seiner Bildwelt in seinem Kulturkreis und in Tokio bleibt.
Araki hat Geburtstag
Apropos Künstlerschicksal: Am 25. Mai hatte Nobuyoshi Araki seinen 72. Geburtstag. Zu seinen Ehren veranstaltet seine Galerie jedes Jahr eine Vernissage. Der Künstler war für 17 Uhr angekündigt. Erschienen ist er weit nach 18 Uhr. Man stand folglich die ganze Zeit um drei Leuchtkästen herum, auf denen Kleinbilddias montiert waren, die ich mir wegen ihrer völligen Beliebigkeit gar nicht alle ansehen wollte. In einer weiteren Ausstellung in Tokio, im neu eröffneten Hikarie 8 im gleichnamigen Gebäude in Shibuya, gab es 300 Polaroids von Araki – Frauen und Blumensträuße. Stückpreis ca. 3000 Euro, plus irgendwas über tausend Euro für die Rahmung: Wahlweise als Objekt mit Signatur für Kurzsichtige oder in Plexiglas.
Auch wenn ich konstatiere, dass sich ein Künstler entäußern muss, also es durchaus angemessen ist, sein Leben unter permanenter Selbstbeobachtung zu führen, ist die Flut belangloser Schnappschüsse schlicht langweilig. Nun hat aber gerade Araki zahlreiche Fans – ganz abgesehen davon, dass er Japans bekanntester Fotograf ist. Ich hatte eine Stunde Zeit, mir die Fans live anzusehen. Einer war eigens aus Nagoya angereist und fotografierte vor Aufregung schon meinen Gatten und mich im Aufzug zur Galerie, mindestens vier waren aus Deutschland dort, ein Verlegerpaar aus San Francisco. Letztere ausgenommen, frage ich mich natürlich, ob sich die Fans wirklich für Fotografie interessieren, oder ob sich nicht doch eher die Freunde des häuslichen Bondage und SM zu Araki bekennen. Und eigentlich weniger Bewunderer sind denn neidisch. Ja, der ältere Herr mit der lustigen Friese fotografiert gerne nackte Frauen in provozierenden Posen und Verwicklungen. Wenn man so geschickt erotische Phantasien bedient, kann man anschließend alles vermarkten, was aus der Kamera quillt. Jedenfalls kam dann der stets ein T-Shirt tragende Meister ohne gefesselte Begleitung, sprang wie ein Derwisch umher und wechselte in rasendem Tempo Pose wie Standort.
Einerseits war die Veranstaltung unkompliziert und sympathisch informell, andererseits wäre ein wenig Inszenierung der Prominenz wohl durchaus hilfreich für Araki gewesen. Denn erst stürzten sich Fotografen aus diversen Ländern schwitzend und blitzend auf ihn. Dann unterhielt sich Araki lange – und vielleicht aus Verlegenheit – mit Bekannten, besann sich dann wieder auf seine Rolle als Aktivist und ließ sich mit einem Kind fotografieren. Sodann rückte er vor zu den Blumengebinden, die in Japan auf Gestellen stehen und aussehen wie bei einer Beerdigung in unserem Kulturkreis. Sekunden später stand er dann vor den an die Wand gepinnten Schwarzweiß Fotos, für die er bekannt ist – und stand eben dort so, dass man ihn aus der misslichen Situation hätte retten mögen, durch eine offizielle Ansprache, einen Toast, irgendwas, das dem Ganzen eine Form gibt. In einem solchen Moment versteht man gut, warum Prominente im Showbusiness einen Tross von Mitarbeitern beschäftigen, die sich um sie kümmern – und darum, dass sie nicht wie die Deppen rumstehen müssen und mit den Armen wedeln.
Dazu noch eine weitere Anekdote aus den zwei Wochen Tokio, die eigentlich ein Stadturlaub sein sollten, aber statt Urlaub waren. In die berühmte Bonsaischule Kobayashi kam vor einigen Jahren Cameron Díaz. Ganz privat und ohne Aufsehen. Aber es kam eben nicht einfach eines Tages eine blonde Amerikanerin in das öffentlich zugängliche Museum, sondern es wurde vorher angerufen und angekündigt, dass Cameron Díaz in Tokio sei und sich gerne das Museum ansehen würde. Starruhm ist eben nur möglich, wenn er auch erkannt und entsprechend behandelt wird. Jetzt gibt es bei Kunio Kobayashi ein entzückend formales Gruppenfoto der ganzen Familie und vorne sitzt, sehr schüchtern, eine blonde Frau, von der man weiss, dass sie eine Schauspielerin ist.
Die Hauptstelle der Galerie Taka Ishii ist in einem Lagerhaus in Koto-ku im 5. Stock, das unten nach meiner Erinnerung kein für uns Westler lesbares Schild hat. Man fährt mit dem Lastenaufzug hoch. Und gut wäre, wenn man für den Weg einen Plan zur Hand hätte. Die Dependance in Roppongi befindet sich im gleichen Gebäude wie die Zen Photo Galerie.