„Die erste Brigitte ohne Models“ steht auf der Bauchbinde des aktuellen Heftes der Frauenzeitschrift. Korrekt heißen müsste es natürlich: „ohne Profi-Models“, aber so genau nimmt man das nicht bei dieser gigantischen PR-Aktion für ein Magazin, das wie fast alle Print-Titel mit schwindenden Auflagen und Werbeeinnahmen zu kämpfen hat. Und: Was mit der Dove-Werbung begann, wird mit der Brigitte nicht aufhören: Dünner als in der Modeindustrie gefordert, können Models nicht mehr werden, also setzt eine Gegenbewegung ein – hin zu Frauen mit normalen Figuren. Eine Frage, die sich hier & jetzt unabhängig von PR und Frauenbild stellt, ist: Was sollten Fotografen daraus lernen?
Ich gehöre nicht zu den regelmäßigen Leserinnen der Brigitte, weil die Redaktion vornehmlich leicht moppelige Frauen (Brigitte Diät!) vor Augen zu haben scheint, die es sich in dicken, selbst gestrickten Wollsocken, eine Tasse Vanilletee in beiden Händen haltend, auf dem Sofa mit den vielen Kuschelkissen und Norah Jones-Musik gemütlich gemacht haben. Für die Brigitte sind „die aktuellen Farbkombinationen für Ihr Zuhause“ oder auch in der Mode oder beim Make-up die Themen, um die sich im vierzehntägigen Rhythmus die Welt dreht, gewürzt mit etwas Sozialreportage, Erziehungs- oder Psychoratschlägen und leicht nachzukochenden Rezepten. Und trotzdem ist das immer etwas trutschig wirkende Magazin (das „frische“ Layout ändert daran nichts) Avantgarde, was die Modefotografie angeht. Wann immer ich in den letzten Monaten ein Heft zu Gesicht bekam, fielen mir originelle Bildstrecken auf, die mit Frauen „von der Straße“ fotografiert waren. Das erste Mal sah ich das 2008 anlässlich der Olympiade in Peking mit Chinesinnen. Das war und ist eine geschickte Adaption des Street Style, wie er durch die Blogs The Sartorialist oder Garance Doré, um nur zwei zu nennen, in den letzten ein, zwei Jahren extrem populär wurde.
Ab und an habe ich die Brigitte-Modestrecken als leuchtendes Beispiel weitergereicht, nach dem Motto: „Lieber die eigene Schwester oder Oma in der Strickjacke fotografieren als ausdruckslose Gesichter mit zu viel Make-up.“ Denn ziemlich oft legen mir Fotografen und Fotografinnen bei einem Beratungsgespräch Modefotos vor, bei denen verkrampfte Amateurmodelle Posen imitieren, das Styling entweder total aus dem Ruder gelaufen ist oder das Finetuning vergessen wurde; es keine Idee gibt, die umgesetzt wurde, geschweige eine Bildstrecke. Auch in meinem Buch lege ich dar, dass es mit den „Umsonst-Models“, die sich anbieten, schwer ist, individuelle, originelle Fotos zu produzieren. Nur mit denen macht es jedoch Sinn, sich bei Art Direktoren oder Redaktionen vorzustellen.
Die junge, in Düsseldorf lebende Fotografin Alina Gross arbeitet gerade an ihrem Portfolio. Beim Thema Dessous bietet sie unter anderem eine Umsetzung im Stil historischer Pin-up-Fotografie an. Da sie sich damit vornehmlich an Magazine wenden wird, ist es sinnvoll, Varianten der Umsetzung zu zeigen, quasi eine Bildstrecke zu simulieren. Mit Einzelfotos können Magazin-Redaktionen eher wenig anfangen.
Alina posiert oftmals selbst für ihre Fotos oder bittet Freundinnen vor die Kamera. Ganz „ohne Models“ wird die Modefotografie schwerlich auskommen, hier meint man bei der Brigitte doch wohl den Verzicht auf die Präsentation von Kleidung an menschlichen Hungerhaken. Auch nicht gerade mit Magermodels arbeitet die junge, schon recht bekannte Fotografin Alex Prager aus Los Angeles, die der Stern mit einer Bildstrecke und einem im grammatikalischen Freistil-Ringen verfassten Text vorstellt. („Nachdem sie die Schule beendet hatte, machte sie sich auf eine Reise durch die USA und Europa, um mit 20 Jahren eine Ausstellung von William Eggleston im Getty Museum in Los Angeles zu besuchen.“)
Alex Prager lässt sich bei ihren Arbeiten vielfach von bekannten Filmen oder generell filmischen Ideen leiten, spielt also, wie Alina Gross bei den Pin-ups, mit Phantasien, Klischees und bekannten Bildern. Dadurch wird der Eindruck des Vertrauten bei zugleich fremden Bildfindungen ausgelöst. Es bedarf aber einer schwierigen Gratwanderung zwischen „gelungen“ und „platt“. Oder auch „hilflos“, wie bei der Modestrecke „Maison du plaisir“ im Magazin „Faces“, bei der die Bildautorin sich stilistisch bei den großen Schwarzweiß-Fotografen bedient, die bekannt dafür sind, Mode erotisch zu fotografieren, wie Helmut Newton, Peter Lindbergh und Ellen von Unwerth. Mit im kollektiven Gedächtnis vorhandenen Bildern zu arbeiten ist aber etwas vollständig anderes als der Versuch, die Großen der eigenen Zunft zu imitieren.
Überhaupt: Faces. Die Dezember/Januar-Ausgabe ist die erste auf dem deutschen Markt des Magazins aus Zürich, und erinnert mit dem Layout an Lifestyle-Magazine der Achtziger wie Tempo (1986-1996). Der Titel ist bemüht Retro, aber richtig schlimm ist das Editorial. Der Chefredakteur mag keine Editorials (och jöh), ringt sich aber trotzdem eines ab, „einmalig“, in dem er seinen Kollegen unterstellt, sie würden in dieser klassischen Magazinrubrik „aus dem Inhaltsverzeichnis ein PR-Süppchen kochen“. Gerade Faces besteht leider (wie so viele Magazine) überwiegend aus PR und wartet zudem mit einer Art Katalogangebot auf, illustriert von freigestellten Produktabbildungen: Fellmützen, Handcremes, Manschettenknöpfe. Beim Beitrag von Tom Kummer über Charles Manson, der schreit: Seht her, was wir uns trauen!, weiß man nicht, ob Kummer wirklich zu Besuch im Knast war, oder sich das gut ausgedacht hat – wobei Letzteres sicher bewunderungswürdiger ist. Es gibt dann noch eine bunte Bildstrecke über ein tolles Thema: Der italienische Fotograf Daniele Tamagni fotografierte Männer aus den Slums in Brazzaville, die besonderen Wert auf ihr Äußeres legen, Mitglieder der „Société des Ambianceurs et des Personnes élégantes“. Das Buch heißt Gentlemen of Bacongo.
Der Blog Into the Fashion zeigte am 6.12.2009 den Schnappschuss des Fotografen und was der britische Designer Paul Smith daraus machte, nebeneinander:
Auch das eine Variante zum Thema „Mode ohne Models“. Sieht aus wie ein weltweiter Trend!
Was lernen wir? 1. Inspiration ist gut, Imitation sollte man vermeiden. 2. Street Photography is dead, Street Style Photography rules! 3. Wer jetzt in die Fotografie startet und sich im Bereich Mode tummeln möchte, ist gut beraten, Shoots eher mit Freunden und Bekannten zu realisieren als mit Models. 4. Wer sich bei Magazinen vorstellen will, muss Ideen für Bildstrecken umsetzen. 5. Es ist auffällig viel Retro-Stil auf dieser Seite, also: selbst nicht auch im Stil der 50er, 60er, 80er fotografieren, sondern im Stil der 2010er-Jahre! Irgendwer muss ja mal damit anfangen! Warum nicht Sie?
2 Antworten
Sie haben es mal wieder auf den Punkt gebracht 😉 Sehr gut!
Grüße Uwe Nölke
Sehr gelunger Artikel, mir geht die Kritik an der Aktion von Brigitte noch nicht weit genug. In den einschlägigen großen Zeitungen waren ganzseitige Anzeigen enthalten. Dort sah man schon „andere“ Models, aber diese sind oftmals nicht mehr mager, sondern „nur“ noch sehr schlank. Von der angesprochenen „Normalität“ ist dies nicht mehr so weit weg, aber es trifft wahrscheinlich auf 95 Prozent der Normalbevölkerung immer noch nicht zu.