Nils Clauss: one + one = one?

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Airforce Sergeants, Seoul 2009

Sich gerne in Asien aufzuhalten ist eine Sache, dort zu leben, zu studieren und zu arbeiten, eine andere. Zumindest für einen Deutschen. Nils Clauss lebt seit Ende 2005 in Süd-Korea. Er verkörpert für mich den Fotografen der Zukunft: flexibel zwischen Steh- und Laufbild wechselnd, akademisch gebildet, realisiert tolle freie Projekte wie diese Doppelporträts, und verbindet die europäische Tradition der Bildfindung mit Einflüssen aus dem sich wirtschaftlich am schnellsten entwickelnden Kontinent. Ich fragte ihn, wie es dazu kam:

Was verschlägt mich nach Seoul? Ursprünglich war es meine Leidenschaft für den koreanischen Film.
Ich habe in Bonn, Melbourne und Berlin Kunstgeschichte, Politik und Germanistik studiert und mich zuletzt in meiner Magisterarbeit mit Raum und Architektur in Wong Kar-wai’s „Happy Together“ auseinandergesetzt. Während eines Forschungsaufenthalts in Hongkong ist die Entscheidung, mit dem Studienabschluss nach Korea zu ziehen, gereift. Allerdings wollte ich mich in Zukunft weniger theoretisch, sondern primär praktisch mit Film auseinander setzten.
Ich dachte mir auch, dass es am sinnvollsten sei, dort Filme zu machen, wo mir die Kinolandschaft am besten gefällt. Leider ist in den letzten drei Jahren die Filmindustrie hier schwer eingebrochen. Der Markt wurde für große Hollywood-Produktionen geöffnet und seitdem wird nur noch das finanziert, was zu den amerikanischen Blockbustern konkurrenzfähig ist.

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Security Staff, Seoul 2008

Dafür boomt der Independent-Sektor. Die neueste Kameratechnik hat schon vieles revolutioniert. Insbesondere „Redredone_7und auch Canon mit der „Mark 5D II“. Deswegen ist es toll für mich, hier zu lernen und viel auszuprobieren. Bisher habe ich bei mehreren Kurzfilmen Regie geführt und diverse Kurzfilme als Kameramann für hier in Korea ansässige Regisseure gedreht. In der zweiten Hälfte des letzten Jahres habe ich mit dem irischen Regisseur Neil Dowling eine Independent-Produktion mit dem Titel „Sarang hey!“ in voller Spielfilmlänge in Berlin und in Seoul gedreht. Mit einer Veröffentlichung ist Mitte 2010 zu rechnen.

Nach einem zweijährigen Koreanisch-Sprachkurs bin ich seit Herbst 2008 an der Graduate School der Chungang University im Studiengang „Cinematography“ eingeschrieben. Viele meiner Mitstudenten wundert es ein wenig, dass ich mich nebenbei auch intensiv mit Fotografie beschäftige. Für mich scheint es allerdings in vielerlei Hinsicht logisch, beides miteinander zu verknüpfen.

Die Fotografie trainiert mein Auge und lässt mich neue Dinge entdecken. Filmproduktionen sind in der Regel hektisch und lassen wenig Zeit für kreative Ausschweifungen. Andererseits finde ich es auch entspannend, nach intensiver Gruppenarbeit beim Film, wieder meine eigenen Freiräume in der Fotografie genießen zu können. Schließlich zeigt auch der Kameramarkt, dass sich in Zukunft die Grenzen von Fotografie und Film mehr und mehr vermischen werden.

Fotografie habe ich allerdings nie als Handwerk oder an einer Hochschule gelernt. Schon als Kind habe ich mich für Kameras und das Bildermachen interessiert. Intensiver habe ich mich während meines Auslandsaufenthalts in Melbourne (2000) mit dem Fotografieren auseinandergesetzt. In Hongkong habe ich auch – vielleicht als Ausgleich zur Last mit der Magisterarbeit – viel fotografiert. Aber eigentlich ging es für mich so richtig erst hier in Seoul los.

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Middle-School Students, Changwon 2008
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Space Cowboys, Seoul 2009
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Police Officers, Seoul 2009

Nils Clauss präsentiert seine Serie der Doppelporträts natürlich nicht ohne einen entsprechenden Text, der hier vom Englischen ins Deutsche übersetzt wurde:

Der amerikanische Bühnenautor und Soziologe Philip Slater hat das Misstrauen im liberalen westlichen Denken gegenüber exzessiver Konformität, wie sie sich in der Verwendung von Uniformen manifestiert, geschickt verklausuliert mit seiner Äußerung, eine Person in einer Uniform sei bloß die Verlängerung des Willens einer anderen Person. Es ist kaum überraschend, dass die Uniform im Westen solch negative Konnotationen angenommen hat, angesichts der wichtigen Rolle im militärischen Bereich, gipfelnd in den Blutbädern der Weltkriege des 20. Jahrhunderts. In Ostasien dagegen, wo aus verschiedensten Gründen die Vorstellung individueller Freiheit nicht mit demselben Nachdruck gefeiert und verfolgt wird wie im Westen, haben die Menschen eine andere Perspektive.
Zunächst Japan und später Südkorea, als direktes Resultat des japanischen Einflusses, haben sich eine Kultur der Uniform zu eigen gemacht. Sie ging ein in ihre stark wettbewerbsorientierten, schnell wachsenden Konsumgesellschaften.
In dieser fotografischen Serie betrachte ich das Verhältnis von persönlicher und kollektiver Identität in Südkorea vermittels Doppelporträts von Menschen, die in der einen oder anderen Weise Uniform tragen. Mich interessiert dabei die soziale Identität, das Individuum in der Gruppe und die Gruppe in der Gesellschaft als ganzer.

Wichtig ist der Kontext. Es sind die gewaltigen Veränderungen zu berücksichtigen, die sich seit der Verwüstung durch den Koreakrieg bis zur Gegenwart vollzogen haben, wobei der Rang Südkoreas auf der internationalen Bühne und als globales ökonomisches Machtzentrum beständig wächst. Bei dieser Wende spielen das individuelle Opfer und das Opfer von Individualität eine beträchtliche Rolle. Nach meiner Ansicht zeigen diese Bilder, dass sich die Koreaner zwar aus Gründen der Notwendigkeit angepasst haben, des Allgemeinwohls wegen und aus einem Pflichtgefühl heraus, das ihnen ihr konfuzianisches Erbe eingibt, welches auf dem Respekt für Autorität und Hierarchie besteht; zugleich haben sie ihre Verwendung von Uniformen weiter getragen, fast in den Bereich der Performance hinein, wie Kostüme in einem Drama, das täglich in den pulsierenden Neon-Städten der Nation aufgeführt wird.