Warum Sie Ihre Fotos besser nicht Kunst nennen

10 Tipps für Hobbyfotografen, die ausstellen oder ein Buch veröffentlichen möchten

1. Für eine Fotografen-Website wählen Sie besser keine einprägsamen Begriffskombinationen (wie bei mir „fotofeinkost“). Das funktioniert bei Blogs, aber nicht für eine Website, auf der Sie „Werke“ präsentieren. Die erste Wahl ist stets, den eigenen Namen zu verwenden; ganz schlicht mit einem Bindestrich in zwischen Vor- und Zunamen. Achten Sie bitte auch darauf, dass die Domain nicht nach Fotogeschäft klingt: Bei „Photo-Mueller“ denkt man an Passfotos, nicht an Ausstellungen.

2. Vermeiden Sie immer Begriffe wie „Kunst“ oder „Kunstwerk“. Warum? Weil es uninformiert wirkt, sich selbst so zu etikettieren. Das Urteil, ob es als Kunst gesehen wird, sollte man stets anderen überlassen. Von jemandem, der sich selbst als „Künstler“ bezeichnet, nimmt man meist an, er sei Hobbykünstler. Auch „Art“ heißt „Kunst“, „Fine Art“ gar „Bildende Kunst“, meint also eigentlich die klassischen Bereiche wie Malerei und Bildhauerei. Der Begriff „Fine Art Fotografie“ ist als Genre verbreitet. Man sollte ihn daher nur verwenden, wenn man genau dieses Genre bedient.

3. Benutzen Sie auf Ihrer Webseite keine Zitate. Ob von Hermann Hesse oder Richard Avedon spielt keine Rolle. Das ist eine Verlegenheitslösung. Und so sieht es auch aus: nach Poesiealbum. Überlegen Sie sich selbst einen klugen Satz zu Ihrer Arbeit. Das interessiert dann auch den Leser. Der Besucher Ihrer Website möchte nämlich etwas über Sie erfahren.

4. Geben Sie nie öffentlich an, mit welcher Kamera Sie arbeiten. Weil Maler auch nicht den Hersteller ihrer Farbe angeben? Nein, weil es darum geht, was Sie machen und was Sie sich dabei gedacht haben. Und nicht darum, welche Technik zur Anwendung kam.

Cao Fei, Haze and Fog 4, 2013 Courtesy of the artist and Vitamin Creative Space, RAY 2018

 

5. Sie können gerne Ihre Bilder signieren. Künstlerische Fotografen signieren auf der Rückseite – oft mit Bleistift. Und zwar dort, wo auf der Frontseite ein weißer Rand gelassen wurde, der hinterher unter dem Passepartout verschwindet. Es ist nämlich nie ganz auszuschließen, dass sich die Schrift durchdrückt. Zur Signatur gehört außer der Unterschrift auch der Bildtitel beziehungsweise die Serie und ein Datum. Falls das Bild aufgezogen ist, geben Sie eine Urkunde dazu.

6. In der Signatur oder überhaupt irgendwo eine Auflage anzugeben, wenn man noch nie ein Bild verkauft hat, ist unnötig. Wird man hingegen von einem Galeristen danach gefragt, ist wichtig, eine Auflage anzugeben und dann auch einzuhalten. Üblich ist derzeit bei renommierten Fotokünstlern eine Auflage von 5 Exemplaren. Das sollte klar machen, wie limitiert die Absatzchancen generell sind.

Blick in den Galerieraum
Fotokunstmesse „Unseen“ in Amsterdam. Pressefoto Iris Duvekot

7. Fassen Sie Ihre Motive in Serien zusammen. Geben Sie diesen sinnvolle, aussagekräftige Namen, vor allem wenn Sie diese auf Ihrer Website veröffentlichen. Das erhöht die Chance Ihrer Werke, via Google gefunden zu werden. Falls Sie auf Google pfeifen, können Sie natürlich auch kryptisch-poetische Bezeichnungen wählen. Das machen die Absolventen der Kunstschulen auch (falsch).
Tarnen Sie Urlaubs- und Reisefotos! Keinesfalls sollte die Bezeichnung der Serie einen Rückschluss darauf zulassen, dass die Bilder quasi hobbymäßig entstanden sind. Das wäre schlecht für Ihre Künstlerkarriere! Vermeiden Sie also „Am Meer“ und „Gran Canaria 2017“.
Wichtig: Verkneifen Sie sich Bildunterschriften, die vorgeben, wie das Abgebildete zu interpretieren ist. Ob jemand in einer Gesteinsformation ein Gesicht oder einen Elefanten erkennen möchte, sollte ihm überlassen bleiben. Auch Humor hat in Bildunterschriften nichts verloren. Was der eine lustig findet, veranlasst den anderen, die Augen zu rollen.

8. Das Beste wäre, Sie arbeiten von vorne herein mit einem Konzept (einem gedanklichen Gerüst)! Um nach Abschluss der Arbeit mit dieser in Erscheinung treten zu können, müssen Sie erläutern können, was Sie mit welcher Absicht umgesetzt haben. Nachträglich Bedeutung in etwas hineinzulegen, wo keine gedacht war, führt immer zu schrecklicher Hirnakrobatik; zu Texten, die kein Mensch lesen möchte. Merke: Wo keine Intention war, kann man keine schlüssige hineindichten. Der Galerist aber braucht die Motivationsgeschichte des Autors, um die Bilder verkaufen zu können. Sie brauchen das Grundkonzept, um eine Pressemitteilung für Ihr Buch oder die Ausstellung schreiben (lassen) zu können.

9. Liefern Sie eine gute Story über sich! Die Geschichte, die Sie über sich selbst erzählen müssen, sollte knapp, aber interessant sein. Und auf keinen Fall sollten Kameramarken darin vorkommen! Meine Story ist beispielsweise, dass ich mich schon in der Oberstufe bei der Schülerzeitung nicht zwischen Schreiben und Fotografieren entscheiden konnte, sondern beides gleich spannend fand. Später, parallel zum Studium, entschied ich mich für den Kompromiss, über Fotografie zu schreiben. Kurz und knapp. Beachten Sie, dass ich dabei weder sage, was ich studiert habe, noch womit ich mein Geld verdiene. Das heißt: Sie müssen gar nicht preisgeben, was genau Sie tun. Sie können von Ihrem gegebenenfalls unkünstlerischen Brotberuf sogar ablenken. Durch eine geschickte Story vermeiden Sie die Nachfrage.

10. Zu den wichtigen Beobachtungen, die ich als weisen Rat weitergeben kann, gehört vor allem jene: Aufwand lohnt! Je aufwendiger Ihr Fotoprojekt angelegt ist, desto größer ist Ihre Chance, dafür und damit wahrgenommen zu werden.

Wenn Sie ernstlich auf den Kunstmarkt wollen, dann inszenieren Sie, arrangieren Sie, machen Sie das Unmögliche zum Bild. Am besten derzeit auch noch in 3D beziehungsweise haptisch-plastisch. Vergleichen Sie nie, was Sie produzieren, mit den etablierten Klassikern. Gucken Sie sich an, was Ihre Zeitgenossen ausstellen. Schauen Sie sich im Frühjahr auf der PhotoLondon um, im Herbst auf der Unseen in Amsterdam oder auf der ParisPhoto. Sie werden oft über das, was Sie dort sehen, den Kopf schütteln – vor allem über die Preise. Fragen Sie den Galeristen nach dem Fotografen und hören Sie gut zu, was er erläutert. Nutzen Sie diese Erfahrung für sich!

Artikelbild: Ausstellung eines (Fotobuch-)Klassikers: Anders Petersen, Café Lehmitz, auf der PHE 2017, Madrid, Foto: mm Vom 8.2. bis 28.3.2018 in der Freelens-Galerie in Hamburg.

14 Antworten

    1. Komisch, das ist genau das, was ich schätze.

      Pointiert, zugespitzt.
      Genau dadurch zündet die Aussage, ansonsten gäbe es wieder zu vielen Interpretationsspielraum, der aus der Sicht der Autorin eben falsch genutzt wird.

    2. Das sehe ich wie Alexander.
      Wir haben genug Floskeln und Parolen, die nichts sagen.
      Es kommt (nur) auf den Inhalt an.

  1. Viele Texte zur Fotografie sind sehr allgemein gehalten und behandeln nicht die wesentlichen Themen. Ihre konkreten Hinweise in einem pointierten Stil heben sich davon grundsätzlich positiv ab.
    Den 3. und 4. Punkt halte ich für besonders wichtig. Zitate und Angaben zur Fotoausrüstung sind leider sehr verbreitet.
    Zum letzten Punkt möchte ich jedoch etwas ergänzen. Aufwand allein reicht nicht. Die Ergebnisse sind entscheidend. Qualität in Inhalt und Form sind Voraussetzung für eine überzeugende Bildaussage (siehe: http://www.w-fotografie.de/wp-content/uploads/2016/02/Beitrag_1-L_Wiese-Fotografie.pdf).

  2. Wie immer kommen Ihre Tipps Handlungsanweisungen sehr nahe. Und das finde ich gut so. Hier setzen Sie den klaren, präzisen und kompetenten Stil, den ich aus Ihren Büchern schätzen gelernt habe, konsequent fort.
    Ich hoffe, dass Sie bei ambitionierten Hobbyfotografen und den angesprochenen „Absolventen der Kunstschulen“, die sich auf den Kunstmarkt der Eitelkeiten begeben wollen, vielfach wahr- und ernstgenommen werden. Und danke an Herrn Wiese für den Link.

  3. Sehr schöne Gedanken, die zum Denken einladen. Allerdings würde ich mit Ihnen gerne wegen des Bindestrichs streiten. Ich würde immer die Domain ohne Bindestrich nehmen und halte den Bindestrich für wenig hilfreich.

    1. Streiten möchte ich mich darüber nicht, aber erläutern, dass die Domain mit Bindestrich zwischen den Namensteilen leichter lesbar und merkbar ist. Das gilt für die gedruckte Version z.B. auf Visitenkarten. Das gilt aber auch für Suchmaschinen, die nicht erkennen können, wo der Vorname aufhört und der Nachname anfängt. Obwohl … wahrscheinlich kann Google selbst das jetzt.

  4. Was ist überhaupt Kunst?
    Tja, die Frage aller Fragen.
    🙂

    Manchmal wird man direkt gefragt: „In welchem Bereich platzieren sie ihre Fotos?“ Wenn das keine Pressefotos sind, wenn man kein Natur-Album erstellen möchte, wenn es sich um keine Street-Fotos oder Reportage handelt … wenn man vielleicht abstrakte Fotos anfertigt, vielleicht mit grafischem Charakter, vielleicht sind das keine reine Abbildungen der Wirklichkeit … was dann? Ich glaube, man muss und soll tatsächlich mit Kunst nicht protzen aber es gibt doch Fotos, die praktisch nirgendwo passen nur im Kunstbereich.

    1. doch Fotos, die praktisch nirgendwo passen nur im Kunstbereich.

      Dafür gibt es die Bezeichung: Freie Arbeiten. Sie können das auch näher bezeichnen als „freie gestalterische/visuelle/fotografische Arbeiten“. In der Fotografie heißt es auch oft „Persönliche Projekte“ wie englisch „personal projects“. Die Amerikaner sagen auch „passion projects“. Man muss nicht die KUNST bemühen.
      Und natürlich kann man sagen, was überhaupt Kunst ist. Schauen Sie gerne in mein Buch „Fotografie mit Leidenschaft – Vom Abbilden zum künstlerischen Ausdruck“. Darin habe ich neben vielem anderen knapp und wie ich hoffe, einleuchtend den Unterschied zwischen Kunst (deren Idealfall), dem Kunstmarkt und künstlerischem Handeln erklärt.

    2. @ Dr. Martina Mettner:
      Aus meiner Sicht ist der Begriff „Freie Arbeiten“ für Profifotografen sehr treffend. Er grenzt die aus vorwiegend eigener Inspiration gestalteten Fotos von den Auftragsarbeiten ab. Bei Amateurfotografen ist die Bezeichnung weniger geeignet, da es hier keine Kunden gibt.
      Mir ging es auch häufig wie Richard. Ich habe mich immer wieder gefragt, wie man Fotos sinnvoll klassifiziert. Bei meinen Überlegungen bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass das nur mit konsequent angewendeten Kategorien und den entsprechenden Merkmalen gelingen kann.
      Die Kategorie Veranlassung hat die Merkmale Auftragsarbeit und freie Arbeit. Bei der Frage von Richard geht es eher um die Kategorie Inhalt, die sehr viele unterschiedliche Merkmale enthalten kann: Architektur, Landschaft, … aber auch Surreal- oder Abstrakt-Darstellung.
      Mit diesem Schema können auch Fotos von Amateuren sehr gut klassifiziert werden, ohne den Begriff Kunst bemühen zu müssen. In meinem Artikel „Was fotografierst du so?“ habe ich dieses Thema ausführlicher behandelt (siehe: http://www.w-fotografie.de/wp-content/uploads/2016/02/Beitrag_3-L_Wiese-Fotografie.pdf ).

    3. Das Problem ist, auch wenn ich meine Arbeiten vielleicht fachlich korrekt benenne, dass der durchschnittliche Betrachter sowieso nicht versteht was gemeint ist. Was bringt mir dann das? Wir bewegen uns in schwer definierbarem Bereich und man sollte an die denken, die sich für Fotografie oder Kunst nicht so tief interessieren und vielleicht wollen nur ein ästhetisches Erlebnis haben und trotzdem aber wissen was sie sich eigentlich anschauen. Hier meine ich klare und einheitliche Sprache für (fast) alle.

  5. Durchaus gute Tipps, nur ein bisschen zu absolut, was z.B. den Internetauftritt betrifft. Manche halten’s so wie ich und bloggen dort zusätzlich, dann wird man zwangsläufig Ihre etwas rigorosen Regeln brechen. Was mir auch auffällt (nicht nur bei diesen Tipps, überhaupt im Gespräch mit bildenden Künstlern): Kunst ist ein bier-bier-ernstes Thema. Humor ist absolut Tabu. Wer mit Ironie oder gar Selbstironie hausiert, ist kein Künstler, im schlimmsten Fall nur ein Comedian. Diese versteifte Haltung wirkt nun aber bei manchen schon fast unfreiwillig komisch…
    LG FMR