Eat Your Darlings

„Kill Your Darlings ist das einzigartige Ausstellungs- und Buchprojekt gleichnamiger Gruppe von Fotografinnen und Fotografen. Das martialisch klingende Kill Your Darlings beschreibt die strikte Vorgehensweise ihrer Mitglieder bei der Bildauswahl“, heißt es im Projekttext. Der Abbildung von Realität verpflichtet, schaffen die Studenten von Peter Bialobrzeski (und Wolfgang Zurborn) an der Hochschule für Künste in Bremen den Spagat von der künstlerischen Dokumentation, wie bei Sebastian Burger, dessen Baku-Fotografien hier bereits vor einem Jahr vorgestellt wurden, zu konzeptionellen Arbeiten, wie der über die Konstruktion von Bewegung von Tine Reimer und André Hemstedt. Letzterer ist inzwischen selbst geschätzter Lehrender am Photo- und Medienforum in Kiel, wo ich ihn neulich kurz kennenlernte.

Sehr zugute halten muss man jedem Lehrenden, was eigentlich selbstverständlich sein sollte, nämlich ein wenig Aufsehen und Wirbel zu erzeugen oder zumindest bei den Studentinnen und Studenten das Bewußtsein dafür zu schärfen, dass von alleine nichts passieren wird. So präsentieren sich nun Studenten aus Bremen in einer gemeinsamen Schau, kuratiert von Ute Noll: „Kill Your Darlings„. Beim Kerber Verlag erschien der Katalog zur Ausstellung.

Darin findet sich viel Schönes, so die Arbeit von Franziska von den Driesch, die Konfirmanten in ihrem „Kinder“-Zimmer fotografierte: Hinter sich der Pferdekalender, vor sich eine Karriere als Assistentin der Geschäftsleitung!? Zur Konformation scheint es heute das erste Business-Outfit zu geben. Auch Dörte Haupt hat sich mit Zukunftsaussichten befaßt – ihren eigenen – und sich sehr gelungen in den Rollen als Richterin, Tennisstar, Gattin oder gar Sportlehrerin inszeniert. Das Was-wäre-wenn-Spiel betreibt auch Tine Casper in bekannter Perfektion mit Selbstinzenierungen in den Familien ihrer Exfreunde.

Fotoarbeiten von Anja Engelke

Einen vollständig anderen Weg ging Anja Engelke mit ihrer Arbeit „Piece of Cake“. Sie verleibte sich Fotoikonen ein. Dazu hat sie berühmte Fotografien nachgebacken, abfotografiert und dann aufgegessen. Kill your Darlings! (Was eigentlich nur heißen soll, man dürfe nicht an seinen Lieblingsfotos hängen.) Wenn das bekannte Foto von Alec Soth mit den zu Schwänen gefalteten Handtüchern auf dem Bett zur Torte wird, dann ist das Fotofeinkost. Deshalb wird hier die Foto-Patisserie stellvertretend für alle Darlings abgebildet. Recht hat Anja Engelke, wenn sie feststellt, „wie wichtig es ist, sich in der Fotogeschichte auszukennen. Denn sie bildet das Fundament, ohne das die Fotografie in ihrer heutigen Form nicht existieren würde.“

Anja Enkelkes süße Interpretation von „Two Towels“ aus der Niagara-Serie von Alec Soth
Gekillt wurde bei der Auswahl fürs Buch das leckere Gursky Bild „Bahrain I“. Wo Gursky ist, dürfen die Fachwerkhäuser der Bechers nicht fehlen:

 

Feinste Konditorenarbeit leistete die Fotostudentin bei der Aneignung der Porträtserie von Thomas Ruff.
Ebenfalls nicht im Katalog vertreten: Das kalorienhaltige Familienporträt mit kotzendem Baby von Nick Waplington aus der Serie „Living Room“.

Speziell originell ausgewählt ist eines der frühen künstlerischen Farbfotos, „After a Flash Flood, Rancho Mirage, California, July 1979“ von Joel Sternfeld. Diese abgebrochene Straße nicht journalistisch, sondern wie eine künstlerische Landschaft mit der Großformatkamera zu fotografieren, war damals schon recht spektakulär. Gleiches gilt auch für das berühmte Sternfeld-Foto des Farm Markets mit den Kürbissen und dem brennenden Haus im Hintergrund. Aber das hätte man schlecht backen können.

Katastrophe, einem Foto von Joel Sternfeld mit Teig nachgeformt von Anja Engelke.

„Es sind die Details“, sagt Anja Engelke, „die letztendlich zu dem Konzept einer Arbeit führen. Bei mir zumindest. So buk ich einen Gursky, einen Parr und einen Sternfeld sowieso. Und aß sie auf. Denn wenn ich schon das Original nicht über mein Sofa hängen kann, dann kann ich doch immerhin die großen Fotografien verinnerlichen. So wurden sie ein Teil von mir. Sie haben alle geschmeckt. Ein Glück.“

Die Ausstellung „Kill Your Darlings“ in der Städtischen Galerie Bremen läuft noch bis 22. Oktober 2011.

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