Vor zwei Jahren, am 11. März 2011 um 14:46 Uhr Ortszeit wurde die Region Tohoku im Nordosten Japans von dem schwersten Erdbeben erschüttert, das in dem Land jemals aufgezeichnet wurde. Dessen Folgen, ein Tsunami, der entlang einer 400 km langen Küstenlinie Städte und Dörfer dem Erdboden gleichmachte, sowie der Reaktorunfall von Fukushima addierten sich zu einer Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes. Ein Jahr nach dem Tsunami war der Fotograf Hans-Christian Schink (1961 in Erfurt geboren) als Stipendiat der Villa Kamogawa Kyoto mehrere Wochen in der betroffenen Region unterwegs. Jetzt ist das Buch Tohoku bei HatjeCantz auf deutsch, englisch, japanisch erschienen (132 Seiten, 61 Abb. 30,00 x 24,00 cm, gebunden, 39,80 Euro).
Was würde man selbst ablichten, wenn man so eine großartige Chance bekäme: Drei Monate finanziert vom Goethe-Institut in Kyoto? Ein Jahr nach der Katastrophe in die vom Tsunami betroffene Region zu reisen, ist sehr nahe liegend und wird womöglich erwartet. Es ist aber auch schwierig zu bewältigen, da sich die Frage stellt, inwieweit man selbst innerlich bereit ist, sich auf eine Katastrophe und ihre Folgen für die Bewohner der Region einzulassen.
Was sieht Hans-Christian Schink im Landstrich Tohoku? Vom Tsunami umgestaltete Landschaft mit eigenartigen, oft surrealen Skulpturen. Dieser Fokus auf das Surreale, den subtilen Schrecken in diesem Fall zudem, ist wiederum etwas fotografisch sehr Typisches. Rei Masuda, Kurator am National Museum of Modern Art in Tokyo, attestiert in seinem Begleittext Schink eine „doppelte Distanz“. Auch auf mich wirken die Fotos seltsam distanziert, so als ginge es ausschließlich um die skulpturale Qualität des Motivs, wie sie das obere beispielhaft zeigt. Es wäre leicht gewesen, weitere Arbeiten dieser Art zu zeigen, aber da man honorarfrei im Rahmen einer Besprechung nur drei Fotos veröffentlichen darf, habe ich zwei weitere gewählt, die eher aus dem Rahmen der sehr leidenschaftslos wirkenden Serie fallen. Beim Schnee-Motiv oben sehen wir das Desaster in einer schmerzlich schönen Umgebung. Die Felsen, der am Wasser stehende, beschnittene Nadelbaum, der Schnee, der den Schrecken ästhetisiert und das Motiv in die Nähe einer Tuschezeichnung rückt. Die im Baum hängenden Bojen wirken wie Girlanden, die man zu einer Feier aufhängt. Wahrlich surreal.
Das Foto unten ist das einzige im Buch, das mich emotional angesprochen hat. Und das eher trotz des aus dem monochromen Bildmaterial herausstechenden Rot. Formal angenehm finde ich hier, dass der auf allen Fotos ausgeblichene Himmel keine dominante, immer an gewisse Vorbilder erinnernde Rolle einnimmt. Was mich an dem Motiv so fasziniert, ist nicht so sehr das abgerutschte Haus, sondern dass auf dem Schrein-Gelände die Mönche die Gartenarbeit fortführen und der Bambusrechen wie so eben am Baum abgestellt aussieht. Auch das Band um den Baum links daneben, Shimenawa, ein heiliges Reisstrohseil, zeugt von menschlicher Anwesenheit und dem Glauben, dass die Kordel den Ort heiligt, an dem sie hängt. Aus dieser Perspektive ist es das wohl intensivste Motiv im Buch. Ich möchte wetten, dem Künstler ist es eher zu dekorativ. Ja, das ist es auch, aber dass hier der skulpturale Aspekt hinter den menschlichen Bezug zurücktritt, wiegt das auf.
Will man heute als Fotokünstler überleben, ohne kommerziell zu arbeiten, ist man auf Stipendien angewiesen. Die werden wiederum jenen zugesprochen, die sich berechenbar in diesem System von Stipendien, Galerie-Ausstellungen, Katalogbüchern bewegen. Das wirkt wie ein sich selbst erhaltender geschlossener Kreislauf, bei dem perspektivisch nicht mehr das Realisieren künstlerischer Projekte im Vordergrund steht, sondern das Betriebsförmige, bei dem sich Künstler Projekte ausdenken, die wahrscheinlich gefördert werden. Das erzeugt dann im Extrem statt sperriger Künstler erfolgreiche Stipendien-Chamäleons. (Das ist keineswegs als Kritik an den Künstlern gedacht, sondern wird durch die Vergabe-Regularien erzeugt.)
Auch in diesem Fall kann man die Selbstverständlichkeit bewundern, mit der die Optionen genutzt und bedient werden: Wenn Japan, dann was mit Fukushima. Das Buch zum Stipendium erscheint knapp rechtzeitig, so dass jedes Onlinemedium zumindest, Fotofeinkost eingeschlossen, es zum Jahrestag des Unglücks bewerben kann. Und gerade wird auch wieder ein neues Stipendium an der Villa Kamogawa ausgeschrieben. Für das kann sich nun der nächste Konzeptkünstler bewerben. Das Rad dreht sich weiter im gut geölten Kunstbetrieb – ganz leidenschaftslos.
4 Antworten
Mit einer so starken Kritiken hatte ich hier nicht gerechnet, aber sie ist gut begründet und anregend.
Die anderen Arbeiten des Fotografen schätze ich sehr, natürlich kenne ich längst nicht alles, mir geht es wie der Autorin: es zündet nicht.
Endlich gibt es eine fundierte, ernsthafte Kritik zu lesen.
Oft wird ein Blog als Linkschleuder verstanden.
Danke, weiter so.
Und an den Fotografen: ich glaube sehr an Ihre ehrliche, ernste Auseinandersetzung. Aber an der Kritik ist aus meiner Sicht sehr viel Wahres.
Hallo Fr. Mettner. Wie Sie selbst sagen: Der Kunstmarkt ist ein Markt. Geld regiert die Welt. Ein Stipendium sollte den Faktor Geld eigentlich für den Künstler ausblenden. Das scheint wohl nicht so ganz der Fall zu sein. Ob Schink das Thema Flutkatastrophe extra gewählt hat, um das Stipendium zu bekommen oder ob er auch mit einem anderen Thema auserwählt worden wäre, weiß man nicht. Wäre ich in Japan, würde ich jedenfalls anderes fotografieren wollen. Den distanzierten, „leidenschaftslosen“ Stil von Schink würde ich aber nicht kritisieren.
Ich auch nicht. Der fotografische Stil kann und soll ruhig nüchtern sein. In der Haltung dem Motiv gegenüber möchte ich jedoch idealerweise Hinwendung statt Distanz spüren.
Ich sehe das Problem grundsätzlich auch, allerdings betrifft es jedes Foto: was will man eigentlich damit erreichen? Sie haben beiläufig das Kriterium genannt, die Bilder sollten „emotional ansprechen“. Wieso eigentlich? Und wenn ja, welche Emotionen wären künstlerisch? Wären Bilder passend, die Ekel erzeugen, oder eine wohlige Mischung aus Ekel und Ästhetik, wie sie regelmäßig bei den Pressefotos des Jahres zu sehen ist? Oder ist Mitleid die passende Emotion? Oder Wut? Ich persönlich glaube, dass man mit dem Kriterium „Emotionen“ nicht viel weiter kommt als über den oberflächlichen ästhetischen Reiz, der in der Amateur-Fotografie und der Werbung so beliebt ist.
Was die Absichten des Fotografen angeht, scheint mir, dass die Bilder einen sehr intelligenten Zugang zu dem Thema bieten: sie haben ganz offensichtlich die japanische Malerei zum Vorbild. Die alten Zeichnungen zeigen aber fast immer eine paradiesische Welt. Die von Fotos von Hans-Christian Schink zeigen hingegen Landschaften, die auf den ersten Blick aussehen, wie wunderschöne Tuschezeichnungn, die man im China-Restaurant aufhängen könnte. Aber sehr schnell wird klar, dass diese Welt zerstört ist und man nur auf die scheinbare Idylle einer in Wahrheit toten und zerstörten Landschaft blickt. Die Bilder zeigen also nicht nur, wie es jetzt aussieht, sondern sie vergleichen es automatisch mit den Bildern wie es aussehen sollte.
Zweitens enthalten sie die unterschwellige Warnung, dass Folgen eines atomaren Unfalls nicht einfach mit einem 28mm Objektiv eingefangen werden, und auch nicht mit 14mm, sondern dass vielmehr eine ganze Kultur zerstört werden kann. Die Bilder zeigen zertrümmerte japanische Kultur.