Im Rahmen der Anregungen, Fotografien zu kaufen und mit den Arbeiten anderer Fotografen den eigenen Alltag zu bereichern, geht es heute nicht um meine eigenen bescheidenen Bestände, sondern um eine ernsthafte Sammlung, die Collection Regard von Marc Barbey. Seit 2005 widmet sich Barbey dem Aufbau einer Sammlung, die von den Anfängen der Fotografie bis in die 70er Jahre reicht. Einen besonderen Schwerpunkt legt der in Paris Geborene, seit 2003 in Berlin Lebende auf Berlin-Fotos. Vor einiger Zeit erschienen ist ein wunderschön gestaltetes Buch mit dem Titel „Hommage à Berlin“ zur gleichnamigen Ausstellung, die noch bis zum 9. Oktober 2011 in der Collection Regard in Berlin-Mitte zu sehen ist. Hier nun berichtet Marc Barbey wie er vor drei Jahren auf den Fotografen Hein Gorny aufmerksam wurde und daraus Buch und Ausstellung entstanden:
Ich blätterte zusammen mit einem Freund durch einen Katalog. Er machte die Bemerkung, Hein Gorny sei ein guter Photograph der Neuen Sachlichkeit, der vor allem als Werbe- und Tierphotograph aktiv war. Diesem Kommentar ging ich nach. Ich fand heraus, dass Gorny 1972 die Eröffnungsausstellung in der Galerie Spectrum, einer der ersten Photogalerien in Europa überhaupt, gewidmet worden war. Initiator dieser Ausstellung war unter anderem Heinrich Riebesehl, für mich einer der bedeutendsten deutschen Photographen der Nachkriegszeit, Professor für Photographie, und selbst Schüler von Otto Steinert. Da ich die Photographien von Heinrich Riebesehl sehr schätze und sammle, war diese Erkenntnis besonders inspirierend.
Ich begann nach weiteren Spuren Gornys zu suchen. Dabei stieß ich auf ein Konvolut historischer Bilder Berlins. Ein Besuch in Lüneburg, um Einsicht in die Sammelmappe zu gewinnen, reichte, um mich für den sofortigen Erwerb der Photos zu entscheiden. Nur so war der bereits begonnene willkürliche Verkauf von Einzelteilen und damit die Zerstörung des Konvoluts aufzuhalten. Es befanden sich in dieser Sammlung, neben vielen Reproduktionen von älteren historischen Fotos, originale Abzüge und Kontakte von Hein Gorny und dem US-amerikanischen Photographen Adolph Carl Byers. Dieser war Ende des Zweiten Weltkrieges nach Berlin gekommen. Einige Aufnahmen konnten später außerdem eindeutig Friedrich Seidenstücker zugeschrieben werden. Seidenstücker ist als Tierphotograph und auch für seine Street Photography mit viel Humor bekannt. Die Auswahl der Photos im Konvolut legt nahe, dass Gorny und Byers an einem Buchprojekt über Berlin vor und nach dem Krieg arbeiteten, das „In Memoriam“ heißen sollte. Deswegen erschienen mir die fachgerechte Konservierung und die intensive Aufarbeitung des Konvolutes umso mehr als eine große und künstlerisch lohnende Herausforderung. Das Konvolut stammt vermutlich ursprünglich aus dem Nachlass eines der Mitbegründer der Kestnergesellschaft Hannover, Wilhelm von Debschitz (1871-1948), ging dann in den Nachlass seiner Bekannten Irma Wendtland über, die von 1948 bis 1965 die Handweberei des Klosters Lüne leitete, und danach zu deren Neffe, von dem ich die Bilder erwerben konnte.Die Bilder sind einzigartig und besonders schön. Bei einem Teil der Aufnahmen handelt es sich um Luftaufnahmen. Diese wirken so, als wäre es den beiden Photographen nicht nur um das rein dokumentarische Abfotografieren der Zerstörung Berlins gegangen, sondern als hätten sie mit der bewussten Nutzung von Schatten in den Bildern auch die Dramatik der damaligen Situation einfangen wollen. Dabei wird die Praxis, einen Zustand aus der Luft in den bestmöglichsten Lichtverhältnissen – also mit wenig Schatten – festzuhalten, bei diesen Fotos offensichtlich bewusst vernachlässigt. Die Standbilder sind der Nüchternheit und Sachlichkeit der Vorkriegsphotographie sehr nahe. Die in diesem Buch publizierte Photoserie ist die letzte große Arbeit, die Hein Gorny erstellt hat. Sie ist zu seinen Lebzeiten nie publiziert worden.
Heute haben diese Bilder eine große historische Bedeutung. Berlin hat es geschafft, aus Asche, Ruinen und Perspektivlosigkeit aufzuerstehen. Diese Entwicklung ist kaum zu fassen, wenn man diese Photos betrachtet. Berlin ist nicht nur auferstanden, sondern entfaltet wieder eine besondere Ausstrahlung für Deutschland, Europa und die Welt. Deswegen heißt dieses Buch „Hommage à Berlin“. Es ist eine Hommage an das, was Berlin war und heute ist. Es ist auch in persönlicher Weise für mich ein Weg, dieser Stadt, für die ich mich in diesem Lebensabschnitt entschieden habe, ein bisschen “zurückzugeben“, ihr eine persönliche Hommage zu widmen. Die Kontakte zur Familie Gorny, die ich kurz nach dem Kauf des Konvoluts aufnahm und insbesondere der Austausch mit Peter Gorny, haben dazu geführt, dass die Collection Regard heute den Nachlass von Hein Gorny verwaltet.
Collection Regard, Steinstrasse 12, 10119 Berlin, Tel: +49 (0)30 847 11 947
Termine nach Vereinbarung. In der Zeit der Ausstellung Hommage à Berlin (bis 7. Oktober 2011) sind die Räume außerdem immer freitags von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist kostenfrei. Die Besucherzahl ist auf 20 Personen gleichzeitig begrenzt.